«The girls who ride dragons» – ein berührender Langzeitdokumentarfilm

  16.10.2024 Burgdorf, Aktuell, Kultur, Gesellschaft

Die Kamera begleitete Meret Madörin schon als Jugendliche: Bereits während ihrer Schulzeit zog sie mit dem Fotoapparat durch die Gegend und hielt fotografisch fest, was sich ihrem Auge präsentierte: «Für mich war schon früh klar, dass mein Beruf mich hinter die Kamera führen würde – sowohl das fotografische wie auch das bewegte Bild faszinierten mich.» Als Meret Madörin kurz vor der Matur bei den Solothurner Filmtagen ein Praktikum machte, erhielt sie Einblicke in die Schweizer Filmlandschaft und sie entschied sich, an der Zürcher Hochschule der Künste zu studieren. Sie schloss 2013 mit dem Bachelor of Arts in Film ab, ging danach für das Masterstudium an die Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf (Deutschland), wo sie erfolgreich mit dem Master of Fine Arts abschloss: «Ich interessierte mich stets sowohl für das dokumentarische wie auch für das fiktionale Filmschaffen. Während es für mich beim Dokumentarischen darum geht, eine Realität möglichst behutsam und respektvoll abzubilden, werden im fiktionalen Bereich zwar «erfundene» Geschichten erzählt, die aber auch nicht im luftleeren Raum stehen. Meine Aufgabe als Kamerafrau ist es, diese Geschichten in Bildern zu erzählen, damit auch diese in Dialog mit den Zuschauenden treten.»
Das erste grosse Set, an dem Meret Madörin mit von der Partie war, waren im Jahr 2012 die Dreharbeiten für den Film «Nachtzug nach Lissabon»: «Als Kameraassistentin versuchte ich damals wie auch später auf jedem Filmset, so viel Zeit wie möglich damit zu verbringen, die Menschen, die Sprache, die Traditionen, das Licht und die Stimmungen, die dort herrschen, zu beobachten, in mich aufzunehmen und ein Gefühl für andere Länder und Kulturen zu bekommen.» Beobachten sei das A und O des filmischen Schaffens: «Ich würde sogar sagen, es ist die wichtigste Eigenschaft der Cinematografen.» Bereits während des Studiums sammelte Meret Madörin als Kameraassistentin auch in zahlreichen Kinofilmen, Serien und TV-Filmen national und international Erfahrungen: «Ich arbeite gerne weltweit – meine besondere Leidenschaft ist, filmische Welten darzustellen, die berühren, ermutigen, unterhalten und Verbindungen zwischen Kulturen, Themen und Menschen schaffen.» Ihr komme dabei zugute, dass sie sowohl im dokumentarischen wie auch im fiktionalen Film arbeite: «Ich habe das grosse Glück und Privileg, dass ich auf Erfahrungen aus beiden Bereichen zurückgreifen kann – das bereichert meine Arbeit.»

«The girls who ride dragons»
Zum Projekt «The girls who ride dragons» (mehr dazu im Kasten rechts) kam Meret Madörin, als sie im Jahr 2016 an der Filmuniversität Peyman Ghalambor kennenlernte. Der Regisseur hatte als Übersetzer zwei Familien kennengelernt, die er dokumentarisch begleitete, wobei er zwei Mädchen in den Mittelpunkt stellte. «Er wusste zwar anfangs noch nicht, wohin diese Reise genau führen sollte, aber mich faszinierte diese filmische Begleitung der zwei Mädchen von Anfang an.» Die engagierte Kamerafrau stieg ehrenamtlich in das Projekt ein: «Wir haben von 2017 bis 2021 kontinuierlich immer wieder gedreht. Bevor ich hinter die Kamera ging, war es meine Aufgabe, Vertrauen aufzubauen – denn schliesslich liessen die Protagonisten/-innen mich in ihr Privatleben hinein.» Dieses Projekt sei für sie eine unglaubliche Erfahrung gewesen – mit tiefen Einblicken in die beiden Familien, die sie sehr berührt hätten: «Ich erlebte hautnah mit, was es heisst, in einem anderen Land anzukommen, welche Hürden sich immer wieder aufbauen, wie Menschen in ihr neues Leben hineinwachsen.» Sie habe die Familien schon nach kurzer Zeit ins Herz geschlossen, habe sich wie ein Familienmitglied gefühlt: «Und doch blieb ich immer Kamerafrau, die einen respektvollen Abstand einhielt. Das schönste Kompliment für mich ist jeweils, wenn ich mit meiner Kamera quasi unsichtbar bin.»
Insgesamt drehte Meret Madörin an über 100 Tagen: «Entsprechend viel Material mussten wir während des zweijährigen Schnittprozesses bearbeiten.» Besonders wichtig sei ihnen in der Montage gewesen, dass sie den Protagonisten/-innen von aussen nichts aufdrückten, das nicht zu ihnen passte: «Manchmal mussten wir auch Szenen auslassen, weil wir die Menschen, deren Geschichte wir dokumentiert hatten, schützen wollten.»
Insgesamt ist nun ein Langzeitdokumentarfilm von 152 Minuten entstanden, der die Zuschauenden auf eine Zeitreise von sieben Jahren mitnimmt und zeigt, wie zwei Mädchen heranwachsen und ihren Platz in Familie und Gesellschaft finden. In der Begründung für den First Steps Award, den der Film am 30. September 2024 gewonnen hat, steht, «dass die Regie sowie das herausragende Kamera- und Montageteam […] allen Protagonisten/-innen stets mit Respekt und Empathie auf Augenhöhe begegnen, ohne Zeigefinger, ohne Vorwurf, ohne Wertung». Ein Film, der die Betrachtenden in eine den meisten von ihnen fremde Welt mitten in ihrer Gesellschaft führt – und berührt.
Nach diesem Film darf man schon auf die nächste Arbeit von Meret Madörin gespannt sein – doch zunächst stehen am Donnerstag, 28. November 2024, die Filmvorführung im Kino Krone und das anschliessende Gespräch mit ihr und dem Regisseur Peyman Ghalambor an.

Andrea Flückiger

Der Film «The girls who ride dragons» wird im Rahmen der «Orange Days» als Film-Benefiz-Anlass des Soroptimist Clubs Burgdorf vorgeführt. Die Einnahmen kommen Projekten gegen Gewalt an Frauen zugute.

Synopsis von «The girls who ride dragons»:
Parnia (4) und Zeynab (5) flüchten im Jahr 2015 mit ihren Familien aus dem Iran nach Deutschland. Der Film begleitet die zwei afghanischen Mädchen und zeigt, wie sie beginnen, ihre filigranen Wurzeln in Berlin zu schlagen. In einem Zeitraum von sieben Jahren erzählen die Heldinnen der Geschichte, wie sie ihren Alltag in einem Spannungsfeld zwischen Familie und Gesellschaft meistern. «The girls who ride dragons» ist ein Film über die universelle Geschichte des Heranwachsens und die Suche nach dem eigenen Platz in der Welt.
«‹The girls who ride dragons› ist ein Heimatfilm und zugleich eine Widmung – mein Beitrag für die Mühen meiner Mutter und Schwester für ihren tagtäglichen Kampf um Anerkennung und Respekt in Deutschland.» – Peyman Ghalambor


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