Stromgeladene Diskussionen am Energie-Symposium Burgdorf

  23.06.2024 Aktuell, Aktuell, Foto, Wirtschaft, Burgdorf, Gesellschaft, Region

«Versorgungssicherheit – was tragen die politischen Entscheidungen dazu bei?» So lautete der Themenabend des 20. Energie-Symposiums vergangene Woche in der Aula Gsteighof in Burgdorf. Begrüsst wurde das wiederum zahlreich erschienene Publikum von der Geschäftsleitung der Localnet AG, vertreten durch Marcel Stalder, Leiter Marketing und Verkauf, sowie Pascal Kirchhofer, seit 2024 neu gewählter CEO des Regionalunternehmens. Dank ihrer frischen, sketchartigen Begrüssung gewannen die beiden sofort die volle Aufmerksamkeit der Zuhörenden, die im Verlauf des gesamten Abends mit den Streitgesprächen der Referentinnen und Referenten nicht abnahm.

Stromversorgung Schweiz neu lanciert?
Nach der Abstimmung vom 9. Juni  2024 über ein neues Stromgesetz – Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien – soll es laut dem gleichentags abgegebenen Statement von Bundesrat Albert Rösti, SVP, mit der Umsetzung und somit der Produktion von einheimischem Strom durch Wasser, Wind und Sonne zügig vorwärtsgehen. Ob dem wirklich so sein wird und welche verschiedene Energiemöglichkeiten es gibt, darüber referierten die folgenden Persönlichkeiten, die (im wahrsten Sinne des Wortes) «unter Strom» waren, teils heftig bis genervt,
aber doch diplomatisch: Cornelia Mellenberger (CEO Energie Wasser Bern ewb), Noah Heynen (CEO und Mitgründer der Helion Energy AG, Zuchwil), Christian Wasserfallen (Nationalrat FDP) und Prof. em. Lino Guzzella (ehemaliger Rektor und Präsident der ETH Zürich). Letzterer stellte vorab mit einem Kurzvortrag seine Sicht der Dinge in den Raum. Standesgemäss führte Sonja Hasler (SRF-Mitarbeiterin) als Moderatorin durch den Abend. Lino Guzzella erläuterte in seinem Plädoyer die ganze Spannbreite der Stromproduktion mit den gängigsten Elementen Kohle, Erdöl, Erdgas, Biomasse, Kernkraft, Wasserkraft, Windkraft und Solar als wichtige und deshalb nötige Faktoren. In sein Plädoyer eingebunden waren dabei sämtliche Punkte über den Bau, die Auswirkungen und die Erträge bis zum Rückbau der Anlagen. Die Fakten zeigen klar, dass Kohle dabei den Schluss, Solaranlagen die Spitze der Rang­liste zieren. Es scheint ein klarer Fall zu sein: Photovoltaik aufs Dach und alles wird gut.
Wenn doch alles so einfach wäre. Strom ist eine geniale, aber komplexe Sache. Die Versorgungsunsicherheit bleibt, denn nicht immer ist eitel Sonnenschein. Ein wolkenverhangener Himmel, wie das ab und zu auch im Sommer und nicht nur im Herbst oder Winter geschieht, bringt keine volle Leistung. Strom lässt sich (noch) nicht effizient auf lange Zeit speichern. Im Winter wird es demnach schwierig.
Was also ist das richtige Vorgehen? Hilft der politische Entscheid zum Stromgesetz weiter? «Eine sichere Energieversorgung bedingt, dass die Realität Vorrang hat vor dem Wunschdenken, denn die Naturgesetze lassen sich nicht ändern.» (Prof. em. Lino Guzzella)

Hitzige Podiumsdiskussion
Die anschliessende Podiumsdiskussion mit den vier Teilnehmenden zeigte vier Meinungen verteilt auf zwei Lager. Teilweise wurde der Austausch leidenschaftlich bis gereizt geführt.
Cornelia Mellenberger (CEO Energie Wasser Bern ewb) zweifelt die rasche Umsetzung erweiterter einheimischer Produktion von Stromenergie an. Es brauche mehr Information und Überzeugungsarbeit, die technischen Möglichkeiten auch umzusetzen. Tatbeweise, sprich konkrete Umsetzungen, müssten aber kurzfris­tig erfolgen. «Versorgungssicherheit hat oberste Priorität. Zentral dazu ist ein Schulterschluss für eine Stärkung der inländischen Energieproduktion und die Schaffung zusätzlicher Speichermöglichkeiten», so Cornelia Mellenberger. Sie sieht die Erhöhung der Grimsel-Staumauer als grosse Chance für grössere Kapazitäten und mehr Energiespeicherung. Zusätzlich müsse der vergünstigte Ausbau von Photovoltaikanlagen vorangetrieben werden.
FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen sieht es ähnlich und prangert dabei wie Cornelia Mellenberger die lasche Haltung in der Entscheidungsfindung an. Es fehle weiterhin ein gewisses Bewusstsein für die Lage, in der wir uns befänden. «Zwei grosse Hürden müssen überwunden werden. Einerseits die sogenannte ‹Nimby-Haltung›, der ‹Not in my backyard-Effekt›, was übersetzt bedeutet: ‹Nicht in meiner Nachbarschaft›. Ausbau und Förderung erneuerbarer Energie? Ja! Aber sicher nicht vor der eigenen Haustüre!», so der FDP-Mann. Und weiter: «Eine zusätzlich sperrige Hürde ist die 5. Landessprache: die Einsprache. Man muss sich wirklich Gedanken machen, ob wir so weiterkutschieren können.» Die Planungsverfahren seien zu umständlich. Zudem biete man Verbänden aus seiner Sicht zu viele Beschwerdemöglichkeiten, sich in jedem Projekt, in jedem Prozessschritt, einbringen zu können, so FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen.
Ganz anders sieht es Noah Heynen, CEO Helion. Mit 65 Prozent bereits umgesetzten Projekten stehe man im Kanton Bern sehr gut da. Jährlich würden zwei Prozent des Stromverbrauchs mit Solarenergie wettgemacht. Das bedeute umgerechnet jedes Jahr ein halbes AKW in Form von Photovoltaik.
Nun brannte der Zunder vollends. Professor em. Lino Guzzella widersprach Noah Heynen vehement. Seine Aussagen entsprächen nicht der Realität. Richtig sei hier, dass es leistungsmässig ein Zwanzigstel eines Atomkraftwerks sei. Noah Heynen wiederum gab nun preis, dass er den falschen Ausführungen im Vortrag von Prof. Guzzella kaum zuzuhören imstande gewesen sei. Die weiteren Ausführungen blieben in diesem Tonfall. Christian Wasserfallen sieht die Lösung im Gesamtsystem mit allen richtig eingesetzten Energiequellen. Der Hype um Solar sei gross und auch korrekt, denn die Zukunft sei elektrisch. Dass wir aber Milliarden in Photovoltaik investierten, was uns im Sommer aktuell ein Übermass an Strom einbringe, der im Winter aber fehle, sei einfach nur dumm.
Dank ihrer Professionalität konnte Sonja Hasler im Lauf der Diskussionen doch einen Konsens präsentieren, zudem band sie im richtigen Moment die Fragen des Publikums ein und führte ein interessantes, energiegeladenes 20. Energie-Symposium 2024 zum Abschluss. Sicher ist, das aufwühlende Thema wird weiterhin Volk und Politik beschäftigen. Das eigentliche Thema des Abends aber, «Versorgungssicherheit – was tragen die politischen Entscheidungen dazu bei?» wird die Zukunft beantworten. Bis zum Jahr 2050 muss laut Stromgesetz die Lösung umgesetzt sein.

Paul Hulliger


Image Title

1/10


Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote