Long Covid als Energiekiller

  14.08.2024 Aktuell, Burgdorf, Gesellschaft

Den Eltern der 12-jährigen Melaia* ist es ein Herzensanliegen, die Bevölkerung über eine Krankheit aufzuklären, die wenig Beachtung findet – Long Covid. Wer daran erkranke, erlebe einen Leidensweg mit wenig Unterstützung seitens der Medizin. Das liege wohl daran, dass dieses Krankheitsbild relativ neu sei und für dessen Erforschung wenig Geld zur Verfügung stehe.
Als Corona die Schlagzeilen füllte und Schutzmassnahmen und Richtlinien verkündet wurden, entschieden sich die Eltern von Melaia, die ganze Familie impfen zu lassen, weil der Vater zu einer Risikogruppe gehört. Im Januar und Februar 2022 liessen sie sich impfen, einen Monat später erkrankten der Vater und die drei Kinder, damals 14, 12 und 10 Jahre alt. Alle litten während acht bis vierzehn Tagen unter starken Covid-Symptomen. Dann besserte sich ihr Zustand, ausser bei Melaia. Ihre Atmung verschlechterte sich derart, dass sie täglich mit Ventolin inhalieren musste. Doch es war nicht nur die Atmung, die ihr Mühe bereitete. Sie war schnell erschöpft und verspürte nach Anstrengungen Schmerzen auf der Brust. Abklärungen beim Hausarzt ergaben keine Diagnose. Die Symp­tome gingen ab Sommer 2022 leicht zurück. Als Melaia im September 2023 erneut an Covid erkrankte, verschlechterte sich ihr Zustand wieder. Sie verlor immer mehr Energie. Morgens konnte sie kaum aufstehen vor Erschöpfung. Das sportliche, äusserst aktive Mädchen, das bei den Kadetten Klarinette spielte und mit Begeisterung das Basketballtraining besuchte, musste seine Hobbys aufgeben. Es blieb ihr nur das Zeichnen, das sie so oft wie möglich und mit sichtlichem Erfolg pflegt.
Als Melaia im Dezember 2023 erneut erkrankte, schien ihre letzte Energie dahinzuschmelzen. Sie besuchte die Schule nur noch sporadisch, verbrachte die freien Stunden im Bett. Seit den Frühlingsferien blieb sie der Schule ganz fern. Kontakte mit Gleichaltrigen funktionierten nur noch per Handy.

Eltern kämpfen für adäquate Behandlungen
Die Eltern von Melaia sind geschieden. Der Vater erzählte, es habe ihn geschmerzt, zu sehen, wie sein Kind an den gemeinsamen Wochenenden nur liegen wollte. Seit Beginn der Therapie gehe es ihr aber besser. Vor allem am Vormittag helfe sie im Haushalt, zeichne oder spiele mit den Geschwis­tern. Aber sie sei noch lange nicht so aktiv wie früher. Er sorgt sich, dass sie den Anschluss in der Schule verlieren könnte. Anfangs habe er vermutet, sie sei möglicherweise depressiv, aber er habe sich getäuscht. Es tut ihm leid, dass sie wichtige Kindheits- und Jugendjahre wegen Long Covid verpasst.
Die Mutter des Mädchens, Daniela*, beklagte die fehlende Unterstützung seitens der Ärzteschaft. Eine eindeutige Diagnose habe der Pädiater nicht gestellt. Die Psychologin vermutete eine Depression und schlug die Einweisung in eine Klinik vor. Daniela nahm darauf Kontakt mit der Patientenorganisation «Long Covid Schweiz» auf. Diese wurde im Jahr 2020 von Betroffenen und Angehörigen mit dem Ziel gegründet, dass das Krankheitsbild Long Covid anerkannt wird. Die Organisation plant zudem Aus- und Weiterbildungen für die Ärzteschaft, will einen Förderfonds schaffen und Betroffene und Angehörige unterstützen (www.long-covid-info.ch). Hier fand Daniela Gehör und Beistand. Klar ist, dass Melaia unter einer ME / CFS leidet, einer Krankheit, die als Folgekrankheit nach einer viralen Infektion auftreten kann. Sie ist in der Medizin schon lange bekannt, werde aber in der Ärzteschaft offenbar noch wenig wahrgenommen und thematisiert.
Daniela hat in den letzten Jahren viel zum Thema Long Covid recherchiert. So hat sie auch von der Blutwäsche (H.E.L.P.-Apharese) erfahren, die bei Long-Covid-Patienten/-innen zu einer Verminderung der Symptome führen kann. Doch diese Behandlungsmethode ist teuer und Melaias Eltern sind finanziell nicht auf Rosen gebettet. Daniela hat daher auf der Crowdfundig-Plattform www.gofundme.com einen Account erstellt und ein Fundraising gestartet. Sie ist dankbar für die Spenden, welche die Finanzierung der zusätzlichen Therapien abdecken.

Melaia hofft auf Besserung
Melaia hat nun bereits die vierte Blutwäsche hinter sich. Dafür reist sie jedes Mal nach Zürich, zusätzlich ein- bis zweimal wöchentlich nach Bern für Atemtherapien. Die Reisen ermüden das Mädchen, doch unter dem Strich bringen diese Therapien eine klare Verbesserung. Im Gespräch mit Melaia wird deutlich, dass sie wieder wie eine gesunde Jugendliche leben, ihre Kolleginnen treffen und ihre Hobbys pflegen möchte.
Melaia konzentriert sich, bevor sie spricht, redet leise. Sie lebt mit ihrer Krankheit im Verborgenen mit ihrer Mutter und den Geschwistern, gelegentlich beim Vater. Melaia werde von der Gesellschaft kaum wahrgenommen, die Medizin klammere Long Covid aus, die Krankenkassen bezahlten keine spezifischen Therapien. Die Mutter kann das nicht akzeptieren. Darum fordert sie die Politik, die Gesellschaft und das Versicherungswesen auf, zu handeln. Sie kämpft nicht nur für ihre Tochter, sondern für alle, die unter Long Covid leiden und nicht in Vergessenheit geraten dürfen. 

Helen Käser
* Namen wurden geändert und sind der Redaktion bekannt.

 

Begriffserklärung: ME / CFS ist eine neuroimmunologische Erkrankung, die in jedem Alter auftreten kann. Zum Krankheitsbild gehören Schlafstörungen, Schmerzen verschiedener Art, orthostatische (Blutdruckabfall beim Aufstehen), neurologische (das Nervensystem betreffende), neuroendokrine (die Sekretion von Hormonen aus dem Nervengewebe betreffende) und immunologische (die Körperabwehr betreffende) Symptome.


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