"Hauptbahnhof Kernenried" feierlich eingeweiht

  29.05.2024 Aktuell, Aktuell, Wirtschaft, Gesellschaft, Region, Politik, Kernenried

«Kernenried ist widerspenstig. Kernenried ist aufmüpfig. Das ist geschichtlich erwiesen und das war schon im tiefen Mittelalter der Fall. Und anscheinend zieht sich das bis zum heutigen Tag hin», meinte Gemeinderatspräsident Adrian Zemp mit einem Augenzwinkern bei seiner Rede an der Einweihung des mittlerweile legendären Bushäuschens mitten im Dorfkern. Direkt beim Gasthof Löwen entstand in sieben langen Jahren Planungs- und Bauzeit ein Unterstand für wartende ÖV-Nutzer/innen des Linienbusses 465. Gekämpft wurde auch hier. Zwar nicht mit Schwert und Speer wie anno dazumal, aber mit scheinbar endlosen Auflagen, Formularen, Bewilligungsverfahren, Baugesetzen und auch mit ausgedehnten Wartezeiten auf speditive Entscheide zugunsten eines Fortschritts zur Fertigstellung der Busstation. Mitglieder der Gemeinde, der Denkmalpflege und des Kantons dürften heute bestens miteinander bekannt sein.

Ein Bushäuschen für die Gemeinde und die Geschichtsbücher
Die Odyssee begann im Jahr 2017. Der Oberingenieurkreis (OIK) IV Oberaargau/Emmental gelangte damals mit dem Sanierungsvorhaben der Hauptstrasse an den Gemeinderat Kernenried. Involviert in das Projekt war der damalige alte und einigermassen wettergeschützte, aber verkehrstechnisch doch eher unpraktische Standort der Bushaltestelle direkt vor dem Eingang des Gasthofs Löwen nahe der Strassenkreuzung. Diese sollte im Zuge der  Strassensanierung rund 60 Meter verschoben werden. Die Anfrage des OIK an die Gemeinde beinhaltete darum ebenfalls das Aufstellen eines neuen Busunterstandes, der den Wartenden bei Schnee, Regen und Wind Schutz bietet. Der Gemeinderat stimmte gerne zu.
Im Jahr 2018 wurde das Bauvorhaben zur Strassensanierung und zur Errichtung einer Haltestelle beim Kanton eingegeben. Die Denkmalpflege des Kantons Bern zeigte sich mit dem Standort der Haltestelle einverstanden, kommunizierte aber klar, dass ein Bushäuschen keine Option sei. Die Begründung des Bauverbots lag im nah gelegenen und denkmalgeschützten Gebäude des Gasthofs Löwen. Um nicht länger Zeit zu verlieren und vorwärtszukommen, lenkte der Gemeinderat ein. Wichtiger war der Umstand, überhaupt eine Bewilligung für eine übersichtlichere und neu sanierte Strasse zu erhalten und gleichzeitig eine neue und behindertengerechte Bushaltestelle. Im Jahr 2020, bereits gegen Ende der Bauarbeiten, kontaktierte der Gemeinderat die Denkmalpflege ein weiteres Mal und fragte, ob ein geschützter Unterstand nicht doch eine Möglichkeit wäre. «Erstaunlicherweise», so Gemeinderatspräsident Adrian Zemp, «zeigte sich die Denkmalpflege plötzlich kooperativ und willigte in den Bau eines Wartehäuschens ein.» Die Auflagen waren, den «Hauptbahnhof» Kernenried beziehungsweise die Bushaltestelle mit Metall und Glas auszuführen. Drei Varianten wurden daraufhin berechnet, auch mit dem gleichzeitigen Wunsch nach einem angrenzenden Fahrradparkplatz, und der Denkmalpflege erneut eingereicht. Eine zeitlich rekordverdächtige Woche später erhielt die Gemeinde bereits Antwort auf ihr Anliegen. Leider eine nicht wirklich erfreuliche. In der Antwort hiess es nämlich, dass in den Notizen der Denkmalpflege zum Thema Bushaltestelle Kernenried Löwen festgehalten wäre, dass dort ein Bau eines Bushäuschens nahe des altehrwürdigen Gasthofs Löwen nicht möglich sei!
Das Erstaunen ob dem Hin und Her war gross. Doch nun drückte das wohl geschichtlich verankerte Widerspenstige und Aufmüpfige der Gemeinde von «Kerrenriet» (anno 1318) endgültig durch. Der Gemeinderat wehrte sich und nach wiederum langer Zeit lenkte die Behörde des Kantons ein. Verlangt wurde von der Denkmalpflege nun aber eine unabhängige Studie, die denn belegen sollte, dass es wirklich nötig sei, den ÖV-Kundinnen und -Kunden einen Wetterschutz in Form eines Bushäuschens anzubieten und dass dieses auch zum Löwen passe.
Nach weiterer, langer Wartezeit, nach weiteren hohen Kosten und dem Verwirklichen grosser Kreativität belegte eine ausgearbeitete Studie schliesslich, dass dies nötig ist. Es wurde gar eine Begegnungszone geplant, inklusive Garten, Gasthof, Auto- und Veloparkplatz, Strasse und Bushäuschen. Die Kosten von weit über einer Million Franken hätte die Gemeinde niemals tragen können. Sie verlangte nach einer klar kostengünstigeren Variante. So entschied man sich für eine abgespeckte Version, wie sie nun heute aussieht. Zumindest fast! Denn dem AGR (Amt für Gemeinden und Raumordnung), das sich nun einschaltete, war das Bushäuschen ein Dorn im Auge und nicht realisierbar, weil mit dem Standort des Bushäuschens rund zwei Quadratmeter Landwirtschaftszone wegfallen würden.
Der persönlichen Initiative von Gemeinderatspräsident Adrian Zemp sei Dank, der mit einer «Blueschtfahrt» ins Berner Oberland, wieder zurück ins Emmental, durch das Seeland und bis zur Jurakette fuhr, dabei jedes Bushäuschen, das in der Landwirtschaftszone steht, fotografierte und dieses «Beweismaterial» mit einem Schreiben an den Gesamtregierungsrat schickte, sodass das AGR nach einem weiteren schriftlichen Austausch und Hin und Her einlenkte.
Geschafft! Das Bushäuschen konnte somit in seiner heutigen Daseinsform, mit kleineren, die Grösse betreffenden Anpassungen erstellt werden. Beinahe, denn der geplante Veloparkplatz wurde nicht bewilligt. Geforderte Anpassungen an die Umgebung mit einer neuen Hecke kamen neu dazu, die sich schluss-
endlich bis in den Frühling 2024 hinzogen und vorab eine Projektänderung verlangten.  

Was lange währt, … wird vielleicht gut?
Nach sieben langen und intensiven Jahren ist das Projekt abgeschlossen. Dass die Kernenrieder an einer Gemeindeversammlung einen Kredit von rund 50 000 Franken anstelle von ursprünglich geplanten 20 000 Franken gutgeheissen hatten, war schon aussergewöhnlich. Rund 50 Prozent der Bevölkerung gefällt laut Rückmeldungen die neue Errungenschaft «Hauptbahnhof». Gleichviele sprechen sich dagegen aus. Ein Holzhaus als Unterstand wäre genauso passend gewesen. Auch laut Gody Schranz, Wirt des Gasthofs Löwen, der sich schon im Vorfeld deutlich dafür aussprach und in Zusammenarbeit mit dem Künstler Jürg Dutly eine günstige und schöne, zweifellos auch eine schön günstige Variante parat hatte.
Schön und gut. Das Werk ist mit der Einweihung getan und alle sind mehr oder weniger zufrieden. Am Stammtisch im Löwen gehen die Themen jedenfalls auch nach der Einweihung mit Bestimmtheit nicht aus.


Paul Hulliger

 


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