«Für ein gutes Lebensende braucht es ein Team»
09.10.2024 Burgdorf, Region, GesellschaftMit der Endlichkeit des Lebens werden wir alle früher oder später konfrontiert. Und auch Beschwerden, Ängste und Belastungssituationen im Rahmen chronischer Krankheiten sind sehr verbreitet. Dennoch werden diese Themen häufig nicht angesprochen. Um dies zu ändern, organisiert das Spital Emmental zusammen mit dem mobilen Palliativdienst Emmental-Oberaargau (mpdEO), dem Zentrum Schlossmatt und der Spitex am Donnerstag, 24. Oktober 2024, einen Anlass, der Brücken bauen und Schwellenängste reduzieren soll. «Brügge boue zwüsche Läbe und Stärbe» soll dem Leiden, dem Sterben und der Trauer eine Plattform geben, es sollen Fragen gestellt und Erfahrungen ausgetauscht werden. Die verschiedenen Anlässe finden am Nachmittag und Abend in und um die Altstadt von Burgdorf und Langnau statt.
Dr. med. Barbara Affolter, Leitende Ärztin Palliativmedizin, und Alexandra Deluigi, Leitende Psychologin Psychoonkologie, – beide am Spital Emmental tätig – sprechen im Interview über den Umgang mit dem Tod, über Ängste und darüber, wie wichtig eine gute Begleitung und Betreuung im letzten Lebensabschnitt ist.
«D’REGION»: Welche Ziele verfolgt der Event «Brügge boue»? Weshalb braucht es einen solchen Event?
Alexandra Deluigi: Wir orientieren uns am Motto «Brücken bauen» der in Bern in derselben Woche stattfindenden internationalen Palliativ-Konferenz. Die Themen wie Kranksein, Sterben, Tod und Trauer betreffen uns alle als Gesellschaft – und nicht nur uns Fachpersonen, die in diesem Bereich tätig sind. Mit unserem Anlass möchten wir einen Beitrag leisten, sich diesen Themen auf eine ungezwungene Weise zu nähern. Es sind schwere Themen, die sich nicht immer schwer anfühlen müssen. Wir hoffen, so gewisse Ängste abzubauen, Hemmschwellen etwas kleiner zu machen, zum Nachdenken und gemeinsamen Gespräch anzuregen – kurz: das Kranksein, Sterben und Trauern sichtbarer mitten ins Leben (zurück) zu holen.
Barbara Affolter: Am wichtigsten scheint mir, dass dieser Event das Nachdenken und auch das Reden über den letzten Lebensabschnitt, das Sterben und die Trauer fördert. Dies sind in meinen Augen nicht primär medizinische, sondern gesellschaftliche Themen. Das Thema muss aber auch unter die Leute kommen, damit man als betroffener Mensch über die Schwierigkeiten reden darf und eventuell sogar Unterstützung aus dem Umfeld, der Firma, der Schule etc. bekommen kann. Es soll aber auch eine Unbefangenheit in Bezug auf das Thema entstehen, damit man nicht die Strassenseite wechseln muss, wenn die kürzlich verwitwete Nachbarin aus dem Haus kommt.
Den Event braucht es, weil wir in den letzten Jahrzehnten das Sterben und den Tod aus unserem Alltag verdrängt haben – wir akzeptieren den Tod in gewisser Weise nicht mehr. Dieser Kampf gegen den Tod kostet viel Energie, die wir besser dafür brauchen würden, den Rest unserer Lebenszeit zu nützen. Oft verzögert oder verunmöglicht das Verdrängen der Tatsachen auch eine gute Begleitung und Betreuung.
«D’REGION»: Was erhoffen Sie sich vom 24. Oktober 2024?
Barbara Affolter: Am 24. Oktober 2024 selbst hoffe ich auf viele neugierige Gesichter und gute Gespräche.
Alexandra Deluigi: Wir hoffen zudem, viele Menschen erreichen zu können. Interessierte, Skeptische, bisher wenig Erfahrene, Erfahrene, Trauernde – kurz Menschen, die mitten im Leben stehen. Wenn sich ein paar Fragen klären können, dem einen oder der anderen Zugang zu einem der Themen ermöglicht wird, eine Angst etwas kleiner werden durfte oder im Traurigen auch etwas Leichtes entdeckt wird, dann ist das viel wert und kann weitergetragen werden.
«D’REGION»: Wie definieren Sie persönlich Palliative Care?
Alexandra Deluigi: Palliative Care bedeutet für mich, vorausschauend und ganzheitlich zu denken, einen Blick fürs Ganze, für die Betroffenen und deren Angehörige zu haben. Als Fachpersonen und Menschen auf medizinischer, psychosozialer und spiritueller Ebene mitzutragen und zu begleiten. Und so Lebensqualität zu erhalten oder zu verbessern.
Barbara Affolter: Für mich bedeutet Palliative Care zudem, aus einer krankheitsbedingt schwierigen Situation das Beste zu machen. Ob Palliative Care nötig ist, hängt dabei nicht von der Prognose, sondern vom Bedarf bei Betroffenen und ihren Familien ab. Palliative Care heisst für mich auch die gemeinsame Planung des sinnvollsten Weges. Dieser Weg kann in der gleichen Ausgangslage für verschiedene Menschen anders aussehen.
«D’REGION»: Warum gibt es immer noch so viele Berührungsängste beim Thema Palliative Care?
Barbara Affolter: Ich denke, dass die Menschen immer noch Angst davor haben, dass sie nach dem Beizug von Palliative Care früher sterben. Das ist sehr schade, denn es gibt gute Studien darüber, dass das nicht stimmt. Gerade wir Palliative-Care-Spezialistinnen diskutieren mit unseren Patientinnen und Patienten sehr ausführlich, welche Therapien sie noch möchten und welche nicht. Es kann aber auch sein, dass der Begriff Angst macht, weil er explizit mit der Endlichkeit in Verbindung gebracht wird.
«D’REGION»: Weshalb reden wir so ungern über den Tod?
Alexandra Deluigi: Der Tod und das Sterben sind in unserer Kultur kaum präsent, finden beinahe versteckt statt. Ebenso das Trauern. Wir sind es kaum mehr gewohnt, damit gemeinsam einen Umgang zu haben und eine Sprache dafür zu finden. Der Gedanke an den eigenen Tod oder an jenen von nahestehenden Menschen kann viele Ängste auslösen. Nicht darüber zu reden, kann diese (vermeintlich) von uns fernhalten.
Barbara Affolter: Sehr viele halten den Gedanken an unsere Endlichkeit nicht aus. Sie sehen bei der Konfrontation mit dem Sterben mehrheitlich die verpassten Chancen, die unerfüllten Wünsche und nicht die schönen Erlebnisse und die erreichten Ziele. Auch kann der Gedanke oder das Reden über den Tod wehtun, da wir uns Sorgen um den Verlust unserer Liebsten machen. Und manche Menschen haben sich eine Art magischen Denkens bewahrt und befürchten, wir würden das Sterben durch das Reden darüber hinaufbeschwören.
«D’REGION»: Was braucht es für ein gutes Lebensende?
Barbara Affolter: Es braucht ein Team. Dieses Team besteht im besten Fall aus Angehörigen und Fachpersonen. Dabei kann man die Rolle der Angehörigen gerade bei der Betreuung zu Hause nur unterschätzen. Und es braucht Offenheit und Kommunikations- und Koordinationsbemühungen von allen Beteiligten: Alle sollten wissen, wo der oder die Betroffene steht, und es sollte möglich sein, auch eine Verschlechterung der Situation zu planen.
Alexandra Deluigi: Aus psychologischer Sicht sehen meiner Erfahrung nach jene Menschen dem Lebensende gelassener entgegen, die dankbar und zufrieden auf ihr Leben zurückblicken können. Auch wenn nicht alles «rundgelaufen» ist.
«D’REGION»: Was bewegt die Menschen am meisten, die palliativ betreut werden?
Barbara Affolter: Da kommt es sehr auf ihre Krankheitssituation an. Wenn wir bereits früh mit den Betroffenen Kontakt haben, geht es um die Verarbeitung der Diagnose und die Neuorganisation des Lebens. Dann gibt es im Verlauf einer chronischen Krankheit häufig ruhigere Phasen, in denen sich vieles eingependelt hat und die Krankheit zur neuen Normalität dazugehört. Manche besprechen in dieser Phase ihre Wünsche für die verbleibende Zeit, ordnen ihren Nachlass, machen sich Überlegungen zur Beerdigung. Wenn sich die Situation anschliessend verschlechtert, ist es häufig Zeit für einen Rückblick. Bin ich zufrieden mit meinem Leben? Was ist gelungen, was vielleicht weniger? Gibt es verpasste Chancen? Und kurz vor dem Sterben sehen dann viele den Tod tatsächlich als Erlösung.
Alexandra Deluigi: Bei meinen Begleitungen steht dabei der Umgang mit den vielfältigen Gefühlen, die dabei aufkommen, im Vordergrund. Und all die «unerledigten» Angelegenheiten: bestehende Konflikte, Unausgesprochenes oder Ungeklärtes, oft über lange Zeit Mitgetragenes. Ganz häufig aber auch eine Dankbarkeit, ein klareres Bewusstwerden, was wirklich wichtig ist im Leben.
«D’REGION»: Warum ist ein regionales Angebot zu Palliative Care insbesondere für chronisch kranke Menschen so wichtig?
Barbara Affolter: Weil gerade diese Menschen weniger mobil sind. Irgendwann werden sogar die Besuche bei uns im Spital zu belastend für sie. Und je besser wir Fachpersonen einander wie auch die lokalen Begebenheiten kennen, umso besser können wir arbeiten.
zvg
Das detaillierte Programm von «Brügge boue zwüsche Läbe und Stärbe» ist auf der Website www.spital-emmental.ch/bruegge-boue zu finden.