Eine Werbeschrift von Jeremias Gotthelf für die Sparkasse Langenbruck

  13.11.2024 Lützelflüh, Kultur, Vereine

Am vergangenen Samstag lud der Verein Gotthelf-Stube Lützelflüh zur alljährlichen Hauptversammlung in das Gotthelf Zentrum ein. Zahlreiche Mitglieder aus nah und fern folgten der Einladung ins ehemalige Pfarrhaus, der langjährigen Wirkungsstätte des Pfarrers und Schriftstellers Albert Bitzius.
Vereinspräsidentin Verena Hofer führte am Vormittag speditiv durch die Traktandenliste. Nach einer Mittagspause stand am Nachmittag der öffentliche Vortrag von Dr. Patricia Zihlmann mit dem Titel «Gotthelf und das schwarze Netz? Reaktionen auf seine Erzählung ‹Hans Jacob und Heiri oder die beiden Seidenweber›» auf dem Programm. Die Referentin ist stellvertretende Leiterin der Forschungsstelle Jeremias Gotthelf an der Universität Bern und beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit Werk und Korrespondenz des bedeutenden Schweizer Schriftstellers.
Die Erzählung «Hans Jacob und Heiri oder die beiden Seidenweber» erschien im Jahre 1851 im Verlag von Julius Springer. Es handelte sich dabei ursprünglich um eine Auftragsarbeit, die Gotthelf auf Ersuchen der Ersparniskasse Langenbruck in Baselland verfasste. Nach einer ersten schriftlichen Kontaktaufnahme und einer positiven Reaktion von Bitzius besuchte eine Dreier-Delegation, bestehend aus Samuel Preiswerk, Pfarrer, Dr. Martin Bider, Arzt und Politiker, sowie Johann Conrad Burckhardt-Gemuseus, Kaufmann, den Schriftsteller und Pfarrer in Lützelflüh. Alle drei gehörten ebenfalls der Gemeinnützigen Gesellschaft von Langenbruck an, welche sich unter anderem die Bekämpfung der Armut zum Ziel gesetzt hatte. Bitzius sollte für sie eine Propagandaschrift verfassen, um vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten zur Sparsamkeit und einer sittlichen Lebensführung zu ermuntern und sie dazu anregen, ihr Geld zinsbringend – für Notfälle und als Rücklage für das Alter – bei der Ersparniskasse Langenbruck anzulegen. Die Initianten überreichten dem Schriftsteller einen Leitfaden für die Werbeschrift, zu deren Zielgruppe insbesondere die Seidenbandweberinnen und -weber gehörten. Dieser Wirtschaftszweig stellte, wie Patricia Zihlmann ausführte, in Baselland einen bedeutenden Faktor dar. Rund 30 Prozent aller Haushaltungen waren von den Einkünften aus der Posamenterei, also der Seidenbandweberei, abhängig.
Bitzius sympathisierte mit dem Grundgedanken der Sparkassen, da bei diesen nicht die Gewinnorientierung im Vordergrund stand. Ziel war es vielmehr, breiten Volksschichten eine Lebensperspektive zu ermöglichen. In seiner Erzählung verknüpfte Bitzius die Lebensgeschichte von zwei Seidenweber-Paaren mit einem Plädoyer für die Sparkassen. Dank Einlagen in die Kasse vermochten Hans Jacob und Anne Marei gemäss dem Motto «Spare in der Zeit, so hast du in der Not» Krisen in Form von Teuerung und Krankheit zu überstehen und blickten am Ende zuversichtlich in die Zukunft. Die Schrift stiess bei den Initianten von der Sparkasse Langenbruck grundsätzlich auf ein positives Echo. Pfarrer Preiswerk lobte die Arbeit von Bitzius, formulierte aber auch grundsätzliche Bedenken und bat, sämtliche politischen Seitenhiebe gegen die Radikalen zu tilgen, da die Erzählung sonst an Wirkung verliere. Ähnlich äusserte sich in einem Brief Burckhardt-Gemuseus mit folgenden Worten: «Sonst geht gleich der Lärm los, wir hätten die Absicht, Politik zu dozieren. Der als Aristokrat verschriene Doktor, ein Basler Pfarrer und ein Baslerherr, da kann es ja nicht fehlen.» Hinzu kam, dass auch Bitzius wegen seiner liberal-konservativen Einstellung den Radikalen ein Dorn im Auge war und im «Basellandschaftlichen Volksblatt» als «pfäffisch-aristokratischer Geist» verunglimpft wurde. Es sollte unter keinen Umständen der Eindruck erweckt werden, dass ein «schwarzes Netz» – «schwarz» galt in Baselland ebenso wie im Kanton Bern als Farbe des Konservativismus – die Werbeschrift lanciert hatte.
Weiter empfahl Pfarrer Preiswerk, eine Anspielung auf einen möglichen Konkurs eines Seidenbandfabrikanten wegzulassen, «da es manchem dieser […] kitzlichen Herren Galle machen könnte (denn wenn ein Kaufmann in hundert andern Dingen ein Fell hat wie ein Rhinozeros, so ist doch das gerade seine Achillesferse).» Zudem sei man auf die Gunst der Seidenherren angewiesen, um die Schrift zu verbreiten.
Bitzius stimmte den Änderungen zu. Das Werk erschien schliesslich in einer Auflage von 3000 Exemplaren bei Springer, wovon ein kleiner Teil an die Ersparniskasse ging. Die «Züricher Freitagszeitung» hielt in einer Rezension vom September 1851 fest: «Wir wünschen […] dem Büchlein recht viele Leser», da es sicherlich «das eine oder andere Gemüth erweckt» und «zum Segen mancher Haushaltungen» beiträgt, «in der es jetzt noch düster und unheimelig aussieht.»
Wenig Gefallen fand Gotthelfs Erzählung dagegen beim Baselbieter Pfarrer, Armenhelfer und Schriftsteller Jonas Breitenstein (1828 –1877). Dieser störte sich angeblich an den Dialektpassagen in Berner Mundart und weiteren Unstimmigkeiten. Im Jahre 1860 veröffentlichte er unter dem Pseudonym B. T. Jonas die Sammlung «Erzählungen und Bilder aus dem Baselbiet», wobei insbesondere «Die Geschichte vom Storzefried und vom Häfelibäbi» inhaltliche Parallelen zu Jeremias Gotthelfs «Hans Jacob und Heiri oder die beiden Seidenweber» aufweist, wie Patricia Zihlmann ausführte.

Markus Hofer


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