Jugendliche mit Borderline-Entwicklungsstörungen
19.02.2025 Burgdorf, Gesellschaft, Aktuell, RegionPersonen, die unter dem Borderline-Syndrom leiden, neigen zu impulsivem Verhalten, und haben starke Schwankungen bezüglich Gefühlen und dem eigenen Selbstbild sowie zwischenmenschlichen Beziehungen. Oftmals geht die Borderline-Persönlichkeitsstörung mit weiteren psychischen Beeinträchtigungen wie Depressionen, selbstverletzendem Verhalten und dissoziativen Symptonen einher. Dies kann in Suizidversuchen gipfeln. Eine Borderline-Entwicklungsstörung bei Kindern und Jugendlichen kann das Familienleben stark beeinflussen und gerade die Eltern sowohl in emotionaler als auch in praktischer Hinsicht überforden. Sie leiden mit, wenn ihr Kind an Gefühlsschwankungen, einem verzerrten Selbstbild oder im schlimmsten Fall an suizidalen Gedanken leidet.
Wutausbrüche, innere Leere, Suizidgedanken
Dies kann A. B.* aus Burgdorf bestätigen. Sie ist Mutter zweier Töchter, von denen eine am Borderline-Syndrom leidet. «Angefangen hat alles zur Zeit der Coronapandemie vor ein paar Jahren», erinnert sie sich auf die Frage nach den ersten Anzeichen der Krankheit. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass ihre damals 13-jährige Tochter am Borderline-Syndrom leidet. Denn oftmals liegt die Diagnose nicht offensichtlich auf der Hand. «Ich habe bemerkt, dass sich meine Tochter immer mehr zurückzog und sich isolierte. Hinzu kamen Wutanfälle, die vorherige Ausbrüche bei Weitem übertrafen.» Mit Blick auf das Teenager-Alter und die Pubertät dachte A. B. dabei noch nicht an Borderline, doch der Zustand ihrer Tochter verschlimmerte sich weiter. Nebst der Isoliertheit kamen Selbstverletzung und Gefühlsausbrüche hinzu. Die Tochter von A. B. konnte gegenüber den Eltern ihren Zustand selbst beschreiben: «Sie sprach von einer inneren Leere und Gefühllosigkeit», erläutert A. B. Bereits nach den Selbstverletzungen zog die Familie psychiatrische Fachkräfte zu Rate. Diese diagnostizierten der Tochter schliesslich das Borderline-Syndrom. «Zu Beginn waren wir als Familie – auch nach der Diagnose – sehr hoffnungsvoll. Doch die Symptomatik wurde immer stärker und gipfelte in Suizidversuchen unserer Tochter. Dies war für uns als Familie natürlich mit sehr viel Verzweiflung verbunden. Wir fühlten uns ohnmächtig, da wir unserer Tochter nicht helfen konnten», blickt A. B. nachdenklich auf die schwierige Zeit zurück. Die langen Wartelisten stationärer Aufenthalte von teils bis zu einem halben Jahr schufen der Lage der Familie keine Abhilfe. «Zum Gefühl der Ohnmacht kam dasjenige der Wut hinzu. Es kann doch nicht sein, dass Kindern und Jugendlichen nicht geholfen werden kann. Zum Glück konnten wir uns organisieren und letztlich die Wartezeit verkürzen, doch dies war mit viel Energie verbunden.» Weiterhin habe sich die Krankheit der Tochter auf die ganze Familie ausgewirkt. «Wir mussten aufgrund der Krankheit meiner Tochter auch auf unsere eigene Psyche achtgeben.»
Dies bestätigt Gabriela Kühni, diplomierte Sozialarbeiterin FH von Selbsthilfe BE. «Nebst der Energie, die aufgrund der Krankheit innerhalb des Systems Familie aufgewendet wird, fällt ein grosser organisatorischer Aufwand bei Kindern mit psychischen Erkrankungen an», weiss die Expertin, die selbst lange in der Jugendpsychiatrie tätig war. «Es ist in der Tat so, dass es schlicht zu wenig Plätze für langfristige Behandlungen von Kindern und Jugendlichen gibt, die an psychischen Erkrankungen wie eben beispielsweise dem Borderline-Syndrom leiden.»
Ursachen für Borderline sind nicht abschliessend geklärt
Noch immer werden die Ursachen für das Borderline-Syndrom wissenschaftlich erforscht. Dabei gibt es genetische, neurobiologische und psychoanalytische Ansätze. Doch auch äussere Einflüsse aus der Umwelt sowie soziale Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Oftmals sind besonders sensible Persönlichkeiten von der Krankheit betroffen. Die Tochter von A. B. erhielt zudem ADHS diagnostiziert. «Letztlich würden wir gerne den Grund für die Erkrankung wissen, doch es sind wohl verschiedene Faktoren, die eine Rolle gespielt haben», so A. B. weiter. Sie nennt die sozialen Medien, die einen grossen Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben können. Weiter bezeichne auch ihre Tochter aus heutiger Sicht die damalige Pandemie und die damit verbundenen Massnahmen als sehr schwierige Zeit.
Positive Entwicklung bei der Tochter
Einige Jahre nach den ersten Anzeichen auf eine Borderline-Erkrankung geht es der Tochter von A. B. heute besser. «Es hat eine Stabilisierung stattgefunden. Sie befindet sich in einem Arbeits- und Wohnsetting auf einem Bauernhof. In der dortigen ruhigen Umgebung ist sie weniger Reizen ausgesetzt und kann sich positiv entwickeln», freut sich die Mutter. Jeweils an den Wochenenden trifft und besucht sich die Familie gegenseitig. Gerade im Umgang miteinander kann laut A. B. viel getan werden. «Es ist wichtig, auch in schwierigen Situationen ruhig zu bleiben. Die Beziehung zwischen mir und meiner Tochter hat sich normalisiert und wir können offener darüber sprechen.» Dass sich die Situation verbessern konnte, liege auch daran, dass die Familie Hilfe von aussen angenommen habe. «Es kann demütigend sein, sich als Familie eingestehen zu müssen, dass man der Tochter nicht helfen kann. Doch letztlich ist es eine Stärke, Hilfe anzunehmen», so der Tipp der Mutter. Auch Gabriela Kühni verweist darauf, dass gerade psychische Erkrankungen, anders als bei chronischen Schmerzen, schambelastet sind. Daher bestätigt sie den Tipp von A. B.: «Externe Hilfe kann Druck wegnehmen, Stress mindern und Betroffenen wie A. B. und ihrer Familie Gelegenheit geben, Luft zu holen und durchzuatmen.» Werden Druck und Stress reduziert, bringe dies auch eine gewisse Weite in die jeweiligen Reaktionen auf einen Gefühlsausbruch oder eine Stimmungschwankung des Kindes mit sich, ist sich A. B. sicher. «Bei Kindern und Jugendlichen, die an Borderline leiden, ist der Alltag oftmals mit viel Ungewissheit verbunden. Als Familie blickten wir oft von Tag zu Tag. Seit wir externe Hilfe erhalten und offen über die Krankheit sprechen, bringen wir eine gewisse Weite in den Umgang mit der Krankheit. Denn schliesslich ist die langfristige Entwicklung entscheidend.»
Auch A. B. steht heute auf festerem Boden und kann dadurch auch besser mit der Krankheit der Tochter umgehen. «Ich musste lernen, barmherzig mit mir selbst zu sein. Fehler, gerade in Drucksituationen, passieren. Schliesslich ist niemand perfekt. Das gilt es zu akzeptieren.» Weiter hätten sie und ihre Familie auf ein tolles soziales Umfeld – bestehend aus Familie und Freunden – zählen dürfen. «Dafür sind wir sehr dankbar.»
Heute sei sie nicht mehr die einzige Ansprechperson für ihre Tochter. Der Druck und die Verantwortung konnten verteilt werden. «Wir als Familie, aber auch meine betroffene Tochter, haben nun mehr Möglichkeiten, zu reagieren.» Die gesamte Situation habe sich Schritt für Schritt verbessert, was auf die offene Kommunikation sowie die Annahme von Hilfe zurückzuführen sei.
Darüber reden hilft
Die offene Kommunikation zwischen Eltern, deren Kinder am Borderline-Syndrom leiden, möchte A. B. nun gemeinsam mit Selbsthilfe BE mit der Gründung einer eigenen Selbsthilfegruppe fördern. «A. B. kam mit ihrer Idee auf uns zu, wodurch die neue Selbsthilfegruppe entstanden ist», erläutert Gabriela Kühni. Die Vorteile einer solchen Gruppe liegen dabei auf der Hand. Für sie und ihre Familie sei es extrem hilfreich gewesen, zu merken, dass man nicht alleine sei. «Es braucht sehr viel Energie, mit anderen Menschen, die nicht vom Borderline-Syndrom betroffen sind, zu sprechen, da man sich ständig erklären muss», sagt A. B. Im Austausch mit anderen Betroffenen müsse man sich als Eltern nicht immer von Neuem erklären, sondern stosse auf eine Basis geprägt von grossem Verständnis. «Es hilft, sich auszutauschen und darüber zu sprechen», versichert A. B. «Betroffene Eltern sind hinsichtlich des Umgangs mit der Krankheit unterschiedlich weit. Da ist es enorm wertvoll, seine Erfahrungen gegenseitig auszutauschen. Aus den geteilten Erlebnissen kann schliesslich jede Person das herausnehmen, was ihr im Umgang mit dem Borderline-Syndrom hilft», hält Gabriela Kühni fest. «Uns als Familie gab es sehr viel Hoffnung und Mut und öffnete unseren Horizont», so A. B. abschliessend.
Joel Sollberger
*Name der Redaktion bekannt