Heftige Diskussionen und knappe Entscheide an der Stadtratssitzung

  19.12.2023 Aktuell, Foto, Burgdorf, Gesellschaft, Politik

Teilrevision der Gemeindeordnung (GO) und des Abstimmungs­reglements
Eine Teilrevision der Gemeindeordnung drängte sich auf, weil verschiedene parlamentarische Vorstösse und / oder Aufträge eingereicht und vom Stadtrat überwiesen worden waren. Sie verlangen Anpassungen der kommunalen Organisationsregelungen sowie Vorschriften über die Urnenwahlen und Abstimmungen. Diese Änderungen sollen vor den anstehenden Gesamterneuerungswahlen 2024 für Stadtrat (SR) und Gemeinderat (GR) erfolgen.
Stadtratspräsident Yves Greisler (Die Mitte) schlug vor, an der aktuellen Sitzung die GO zu besprechen und das Abstimmungsreglement auf eine zweite Lesung im Januar 2024 zu verschieben. Grund dafür sei, dass Änderungsvorschläge zu kurzfristig in den SR getragen worden seien. Der Rat stimmte diesem Vorschlag zu. Die Teilrevision der GO wurde eingehend Punkt für Punkt besprochen und angenommen.

Finanzielle Diskussionen zu Tochtergesellschaften
Zwischen der Stadt Burgdorf und der Markthalle AG, dem regionalen  Eissportzentrum Emme AG (REZE AG) und der Casino Theater AG bestehen verschiedene finanzielle Verflechtungen. Neuregelungen dieser Beziehungen führten zu langen Diskussionen. Mirjam Kalbermatten (SVP / EDU) lehnte das Eintreten auf die Vorlagen ab, weil bei den Budgetbesprechungen entsprechende Informationen fehlten und die Unterlagen nicht vollständig seien. Thomas Gerber, Präsident der GPK (Geschäftsprüfungskommission), empfahl dem SR, die Geschäfte zu behandeln.
GR Beatrice Kuster erklärte, dass die BDO (Wirtschaftsprüfungs-, Treuhand- und Beratungsgesellschaft) dem GR empfohlen habe, bei der Werthaltigkeit der drei Tochtergesellschaften eine Wertberichtigung von 9,8 Millionen Franken vorzunehmen. Unabhängig davon gingen Gesuche bezüglich Darlehen ein. Wenn die Werthaltigkeit abgeschrieben wird, hat das negative Auswirkungen auf die Rechnung. Würden die Markthalle, die REZE AG und die Casino Theater AG die Darlehen zurückzahlen, würde das als ausserordentlicher Ertrag verbucht.
Details zur Markthalle AG erläuterte Stadtpräsident Stefan Berger. Dass die Markthalle die Abschreibungen nie tragen könnte, sei dem SR seit 2019 bekannt. Der Betrieb selbst laufe nicht defizitär. Dank einer Reorganisation im Jahr 2019 konnten Einsparungen seitens der Markthalle AG umgesetzt werden. Zudem hätten Mitarbeitende einen enormen Einsatz geleistet. Der vorgestellte Businessplan zeige auf, dass die Abschreibungen der immobilen Sachanlagen nicht über das  laufende Geschäft finanziert werden könnten und mittels Darlehensverzicht der Stadt übernommen werden müssten.
Jürg Kämpf (FDP) zeigte sich konsterniert über die wohl teuerste Vorlage der Stadt mit Millionenbeträgen, die als ausserordentlicher Aufwand abgeschrieben werden müssten. Im November 2023 wurde das Budget ohne Kenntnis dieser Kredite mit nur zwei Stimmen Unterschied angenommen. Ueli von Känel (GLP) stellte einen Abänderungsantrag für Punkt 2 des Antrags. Damit soll die Erfolgsrechnung der Stadt nicht jährlich – bis auf Weiteres – mit einem Betrag von 265 750 Franken belastet werden, sondern lediglich bis 2025. Dann soll der SR neu darüber befinden. Der Abänderungsantrag wurde knapp mit 20 Ja gegen 19 Nein angenommen. Die anderen Anträge wurden unverändert angenommen, teilweise mit nur wenigen Stimmen Unterschied.
Die Neuregelungen der REZE AG halten unter anderem fest, dass ab 2024 neu die immobilen Abschreibungen anstelle des Defizitanteils als jährlicher Beitrag geleistet werden. Weiter stimmte der SR einem Forderungsverzicht für das Darlehen Aussendach zu und genehmigte einen Nachkredit zum Budget 2024. Auch bei diesem Finanzgeschäft wurden die Anträge zum Teil nur hauchdünn angenommen.
Bei der Casino Theater AG wurde das Gesuch zur Umwandlung des Darlehens für Sanierung und Umbau in einen À-fonds-perdu-Beitrag abgelehnt. Durch die Aussetzung der Darlehensamortisation spricht sich der SR für eine Wertberichtigung auf den gewährten Darlehen aus.
Der SR genehmigte die Anträge betreffend die Neuregelung der Darlehen mit 32 Ja-Stimmen.

Umsetzung einer Rollsportanlage Burgdorf
In einem überparteilichen Auftrag von Die Mitte, SVP, GLP, EDU, SP, EVP und Grüne wurde der GR beauftragt, eine Freizeitanlage mit Beachvolleyfeldern, einer Pétanque- und Rollsportanlage, Tischtennisplatten und Sitzgelegenheiten zu schaffen. Die Fraktionen machen nun Druck, weil dieses Anliegen bereits 2019 mit einem dringlichen Jugendantrag zum ersten Mal thematisiert wurde. Der Antrag wurde vom SR an den GR überwiesen, später aufrechterhalten und dann um zwei Jahre verlängert. Im September 2022 bewilligte der GR die nötigen Gelder, doch an der Umsetzung fehlt es bis heute.
Stefan Berger erklärte, dass zurzeit ein qualifizierter Fachplaner einen Umsetzungsvorschlag für die versprochene Anlage im südlichen Teil der Lindenfeld-Matte mit Beachvolleyfeldern, Rollsport- sowie Pétanqueanlage und Sitzgelegenheiten erarbeite. Sobald ein Vorschlag im Sinne eines Vorprojektes vorliege, werde der GR einen Projektierungskredit für das Bauprojekt beantragen. Nach Schätzungen sei es im ersten Quartal 2024 so weit. Im dritten Quartal 2024 soll dem Stadtrat der Baukredit vorgelegt und parallel dazu das Bewilligungsverfahren gestartet werden. Ob auf der vorgesehenen Fläche Platz für Tischtennis sei, zeige sich bei der detaillierteren Planung. Dieses Vorgehen wurde einstimmig gutgeheissen.

Einführung von gratis Menstruationsprodukten nach Testphase
Dem SR wurden im Juni 2023 Ergebnisse eines Testbetriebs mit Gratisabgabe von Menstruationsprodukten in Toiletten der Volksschule (4. bis 9. Klasse) und der Verwaltung präsentiert. Die Testphase in der Schulanlage Gsteighof und der Verwaltung Kirchbühl 17 wurde darauf bis zu den Herbstferien weitergeführt und nun ausgewertet. Die Rückmeldungen von Jugendlichen und Frauen waren durchwegs positiv. Auch die Hauswarte meldeten, die Abgabe der Produkte habe sich bewährt. Es sei lediglich die Frage aufgetaucht, ob aus hygienischen Gründen spezielle, geruchshemmende Behälter angeschafft werden sollten.
Die Verantwortlichen haben einmalige Anschaffungskosten von rund 18 000 Franken berechnet. Anhand der Schülerinnen-, Lehrerinnen- und Verwaltungsangestelltenzahlen wurden wiederkehrende Kosten für die Anschaffung des Menstruationsmaterials und die zusätzliche Reinigung in drei Varianten berechnet. Der SR nahm Kenntnis von der Umsetzung des Auftrages und sprach sich für die günstigste Variante 1 (17 550 Franken) aus. Gleichzeitig folgte er dem Gemeinderat und schrieb den abgeänderten Auftrag ab.  

Verbesserung des Burgdorfer Stadtklimas
In einem überparteilichen Auftrag haben SP, Grüne und EVP den GR beauftragt, durch regelmässige, risiko­basierte Messungen die Hitzeinseln auf Gemeindegebiet zu bestimmen und einen darauf basierenden Massnahmenkatalog zu erarbeiten, um diese Hitzeinseln zu dämpfen. Grund dafür ist der Klimawandel. Hitzeinseln haben einen negativen Einfluss auf die Gesundheit, den Energieverbrauch (Klimatisierung von Gebäuden), die Ökologie und die Lebensqualität.
Stefan Berger erklärte, dass der Kanton Bern die klimatische Situation in Klimakarten festgehalten habe. Sie informieren über Lufttemperaturen, Kaltluftströme und bioklimatische Bedingungen während der sommerlichen Hitzeperioden und dienen unter anderem der Raumplanung. Für ein attraktives Stadtklima sind weiter Massnahmen im Bereich Wasserwirtschaft und Biodiversität erforderlich.
In diesem Zusammenhang plant die Stadt zwei Pilotprojekte zum Thema «Schwammstadt». Bei diesem Konzept soll das durch den Regen anfallende Oberflächenwasser nicht nur kanalisiert und abgeleitet, sondern vor Ort auch aufgenommen und gespeichert werden.
Der GR erachtet diesen überparteilichen Auftrag als Teil einer klimaangepassten Stadtentwicklung. Er macht es sich zum Ziel, den SR wie auch die Bevölkerung besser über Massnahmen, die er zur Verbesserung des Stadtklimas in Angriff nimmt, aufzuklären. Der SR nahm den Auftrag auf und überwies ihn an den GR.

Zunehmende Gewalt durch Jugendbanden im Gyrischachen
Gleich zwei dringliche Interpellationen betrafen die Situation im Gyrischachen: eine von Die Mitte und eine überparteiliche von SP, Grüne und EVP. Im Gyrischachen klagen Bewohner/innen darüber, dass sie sich nicht mehr sicher fühlten. Es sollen Handtaschen entwendet und Wertsachen gestohlen worden sein, zum Teil bei gezielten Durchsuchungen von Postkästen. Zudem werde in Hauseingänge und Schächte uriniert, oft bis in die Nachtstunden Lärm verursacht und die Spielplätze seien regelmässig vermüllt.
Der GR erläuterte verschiedene Faktoren, die eine solche Entwicklung im Quartier begünstigen. Im Gyrischachen leben viele Familien, deren Eltern stark ins Erwerbsleben eingebunden sind. Da das Geld für Fremdbetreuung fehlt, sind diese Kinder in der schulfreien Zeit unbeaufsichtigt. Die Corona-Einschränkungen haben die Situation verschärft, ebenso die Einquartierung von über 300 ukrainischen Flüchtlingen. Dies hat zu Konflikten zwischen «alten» und «neuen» Bewohner/innen geführt.
Der GR habe Kenntnis von diversen Vorfällen mit Kindern und Jugendlichen im Gyrischachen. Verschiedene Direktionen seien damit beschäftigt, ein Massnahmenpaket zusammenzustellen. Mit einbezogen werden auch Haus- und Grundbesitzer/innen, die Abwarte/-innen, der Quartierverein und die evangelisch-reformierte Kirche. Als kurzfristige Massnahme will die Stadt im Quartier direkt präsent sein, vor allem im Bereich Jugendarbeit und Sozialberatung. Da die evangelisch-reformierte Kirche ihr Engagement per August 2024 grösstenteils beendet, hat die Stadt schnell reagiert und 80 Stellenprozente für ein Anschlussangebot bewilligt. Ein nahtloser Übergang sei wichtig. Schon jetzt unterstützt die Sozial- und Bildungsdirektion die Gemeindearbeiterin der Kirche mit Fallbesprechungen bei komplexen Situationen. Zudem ist die Einwohner- und Sicherheitsdirektion der Stadt in stetem Austausch mit der Kantonspolizei. Diese zeigt mehr Präsenz im Quartier.
Für Eltern auffälliger Kinder und Jugendlicher stehen Beratungsangebote im Quartierzentrum Gyriträff zur Verfügung. Werden diese freiwilligen Beratungen nicht in Anspruch genommen und wird zusätzlich eine Vernachlässigung der Erziehungs- und Aufsichtspflicht festgestellt, erfolge eine Gefährdungsmeldung an die KESB Emmental.
 
Harzige Wahl des Stadtratsbüros 2024
Gemäss Turnus wurde die 1. Vizepräsidentin, Anette Vogt (SP), für das Amt als Stadtratspräsidentin vorgeschlagen. Aus den Reihen der GLP regte sich Widerstand. Ulrich von Känel (GLP) äusserte sein Missfallen an dieser Wahl, da Vogt als Angestellte der Stadt mit Interessenkonflikten konfrontiert werden könnte. In solchen Situationen müsste sie den Ausstand nehmen. Das wäre schwierig bei Abstimmungen mit gleicher Stimmenzahl, denn im Ausstand könnte sie keinen Stichentscheid fällen. Die SVP unterstützte diese Argumente. Es folgten harte Diskussionen zwischen den Fraktionen, welche auf ihren Voten beharrten. Juristisch sei diese Wahl möglich, erklärte Gabriela Bannwart (SP). Schliesslich wurde Anette Vogt mit 20 gegen 19 Stimmen zur neuen Stadtratspräsidentin 2024 gewählt. 1. Vizepräsident ist Philipp Schärf (GLP), 2. Vizepräsident Adrian Merz (Grüne). Als Stimmenzähler wurden Urs Wüthrich (EDU) und Walter Bangerter (Grüne) für ein weiteres Jahr bestätigt.

Personelles im Stadtrat
Andreas Stettler (FDP) hat auf Ende Jahr demissioniert. Jürg Kämpf (FDP) bedankte sich für dessen Engagement während rund acht Jahren und für die angenehme Zusammenarbeit im Rat. Shana Kuster wird ab Januar 2024 seinen Sitz übernehmen.
Die nächste Stadtratssitzung findet am 29. Januar 2024 um 19 Uhr im Kirchbühl 23 statt.

Helen Käser

 

Informationen aus dem Gemeinderat
Francesco Rappa wurde vom Gemeinderat zum Vizepräsidenten 2024 gewählt.  
Stadtpräsident Stefan Berger zeigte sich erfreut über die Nominierung des Museums Schloss Burgdorf für den Preis «Europäisches Museum des Jahres». Die Entscheidung über die Verleihung dieses Preises wird zwischen dem 1. und 4. Mai 2024 im südportugiesischen Portimão gefällt.
Peter von Arb erklärte, dass die Parkplatzverordnung eine generelle Gebührenerhöhung auf den 1. Januar 2024 einführen werde. Neu bezahlen Autohalter/innen im Parkhaus Oberstadt 1.50 Franken, auf öffentlichen Parkplätzen 2 Franken und an zentralen Orten 2.50 Franken pro Stunde. Auch die Nachtparkgebühren erfahren eine Erhöhung.
Charlotte Gübeli informierte, dass die Stadt fürs Gyrischachenquartier eine 80-Prozent-Stelle geschaffen habe. Da sich die reformierte Kirche aus der Sozialarbeit im Quartier zurückzieht, kann so ein reibungsloser Übergang für die Integration der Sozial- und Jugendarbeit garantiert werden.
Francesco Rappa zeigte auf, welche Projekte im Tiefbau und Wasserbau kurz vor der Eingabe stehen und welche auf Bewilligungen vom Regierungsstatthalteramt, dem Kanton oder dem Bund warten.


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