Mit Sticken von Anker-Bildern zum Weltrekord

  08.06.2022 Aktuell, Foto, Burgdorf, Kultur, Gesellschaft

Sticken – das ist eine Handarbeit, bei welcher ein Trägermittel wie Stoff oder Leder mit Faden verziert wird. Sara Zeller aus Burgdorf begann einst auch mit der Verzierung von Textilien, machte sich jedoch bald einmal daran, mit dem Wollfaden nicht nur Sachen zu schmücken, sondern durch das Sticken selbst eigene Kunstwerke herzustellen.

Bilder von Albert Anker
Als Sara Zeller noch in die Schule ging, zeichneten die Schülerinnen und Schüler Bilder des Schweizer Malers Albert Anker nach. Von da an war sie von den Werken des populären Künstlers begeistert. Als sie dann auf einer Reise in Paris im Schloss Versailles diverse Stickereien sah, war ihr Interesse für das Sticken definitiv geweckt. Damals noch beruflich in Thun tätig, lernte sie bei einer dortigen Stickerei die Kunst dieser Handarbeit. Zu Beginn bestickte sie Stühle und Sessel, doch die heute 79-Jährige strebte schnell einmal nach grösseren Herausforderungen. Sie verband ihr neues Hobby mit der Bewunderung für die Gemälde von Albert Anker und machte sich daran, diese mittels der Technik der Gobelinstickerei nachzubilden. «Da ich gelernte Damenschneiderin bin, hatte ich wohl Talent für das Sticken», erinnert sich Sara Zeller. Das damalige neue Hobby, welchem sie zum heutigen Zeitpunkt seit etwa 50 Jahren nachgeht, kann sie optimal mit dem Interesse für die Geschichte der Anker-Bilder verbinden. Denn sie stickt die Gemälde und Porträts nicht einfach nur nach, sondern interessiert sich auch für die Geschichte und den Hintergrund der jeweiligen Bilder. Jedes Bild, welches sie nachstickte, dokumentierte sie jeweils detailliert mit Hintergrundinformationen. Für Sara Zeller, welche nach der Ausbildung in die Pflegebranche wechselte und lange Zeit im Spital in Burgdorf tätig war, ist das Sticken stets ein optimaler Ausgleich zum Beruf und der Haushaltsarbeit gewesen. «Es wurde dann schon fast zur Sucht. Oft fing ich abends mit dem Sticken an und hie und da war ich dann noch bis in die frühen Morgenstunden am Sticken. Die Zeit verging jeweils sehr schnell», erinnert sie sich. Zu den Bildern kamen Kleidungsstücke oder die Verzierung von Glockensäumen hinzu.

Der Weltrekord, der bis heute hält
Gemeinsam mit ihrem Mann Felix Zeller, welcher sie bei ihrer Leidenschaft stets unterstützte und mit der Suche nach Postkarten und Bildern stets neue Inspirationen erweckte, ging sie jeweils in Müstair in Graubünden in die Ferien. Das Ehepaar Zeller kam in Kontakt mit dem damaligen Hotelier des Hotels Helvetia. Dieser hatte die Idee, die Kunstwerke Zellers in seinen Räumlichkeiten auszustellen. «Ge­plant war, dass die Bilder drei Monate ausgestellt werden, letztlich blieben sie eineinhalb Jahre dort», erinnert sich die Burgdorferin. Die Ausstellung, welche Sara Zeller viel Lob einbrachte und auf Begeisterung stiess, war jedoch nicht die einzige Idee des befreundeten Hoteliers, welchem sie bis heute dankbar ist. «Er fragte mich, ob ich nicht versuchen möchte, mit meiner Stickerei einen Eintrag in das Guinnessbuch der Rekorde zu erlangen», erzählt Sara Zeller. «Anfangs war ich dagegen und wollte das nicht, doch schliesslich kamen die Unterlagen und ich entschied, mein Glück zu versuchen», hält sie fest. Doch wie stellt man mit der Gobelinstickerei einen Weltrekord auf? «Entscheidend waren nicht die Menge an Bildern, sondern die Anzahl an verwendeten Farben und die Länge der gestickten Fäden», erklärt die Künstlerin. Unter der Aufsicht von drei Zeugen und einem Notar, welche stichprobenartig den Prozess überprüften, machte sich Sara Zeller während rund einem Monat daran, einen Weltrekord aufzustellen. «Schliesslich wurde das fertige Werk mit den nötigen Unterschriften von Notar, Zeugen und mir selbst eingesendet. Es hiess, es werde wohl drei Monate dauern, bis ich Bescheid erhalten würde», erzählt Sara Zeller. Schon nach 14 Tagen erhielt sie die Nachricht über die Aufnahme ins pres­tigeträchtige Buch der Rekorde. «Man realisiert das zu Beginn gar nicht. Es ist ein gewisser Prozess, bis man das Aufstellen eines Weltrekords verarbeiten kann», stellt sie rückblickend fest. Der Weltrekord sorgte für zunehmendes Interesse und Aufsehen und erfülle sie heute durchaus mit Freude und Stolz. Dennoch hat sie keines ihrer Kunstwerke je verkauft. Oft seien die Angebote nicht kostendeckend gewesen. Doch dies sei nicht der ausschlaggebende Punkt. «Ich erhielt auch sehr hohe Preisangebote. Es gab Interessenten, die mir sagten, sie würden zahlen, was auch immer ich verlangte», erzählt Sara Zeller. «Doch in all den Werken steckt so viel Freude und Leid, da das Sticken eben auch stets ein Ausgleich zu meinem Alltag war. Ich bin emotional sehr mit den Bildern verbunden und will sie daher gar nicht abgeben», stellt sie klar. Das habe jedoch zur Folge, dass sie mittlerweile kaum mehr Platz für neue Bilder habe, weshalb sie mittlerweile aufgehört habe, Bilder zu sticken. «Ich bin gerne im Garten und befasse mich noch heute mit der Literatur zu der Person und den Werken von Albert Anker, dadurch bin ich immer noch mit meiner Leidenschaft verbunden.»
Sara Zeller konnte ihre gestickten Bilder, weit über 100 an der Zahl, immer wieder in Ausstellungen präsentieren. Das habe sie auch weiter vor. «Ich hoffe, die Bilder und Werke dereinst an eine Stiftung übergeben zu können.» Die einzige Bedingung sei, dass alles zusammenbleibe und die Sammlung an Kunstwerken der Allgemeinheit zugänglich sei. Sticken – es ist Sara Zellers Lebenswerk.

Joel Sollberger

 


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