Thomas Jordan erläutert die Geldpolitik der Nationalbank

  03.11.2021 Aktuell, Kirchberg, Foto, Wirtschaft, Gesellschaft, Region

Sektionspräsident Walter Gerber kann knapp hundert Anwesende des Handels- und Industrievereins (HIV) des Kantons Bern, Sektion Emmental, im Saalbau Kirchberg begrüssen. Er dankt Prof. Dr. Thomas J. Jordan, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (SNB), für dessen Bereitschaft, den 2020 wegen der Coronakrise verschobenen Vortrag jetzt, ein Jahr später, zu halten. Der versierte Bankfachmann, der dieses Amt seit 2012 bekleidet, informiert in seinem frei gehaltenen Vortrag über die wichtigsten Vorkommnisse seit Beginn der Coronapandemie sowohl aus Schweizer als auch aus internationaler Sicht sowie über deren Auswirkungen und äussert sich zuversichtlich für die Zukunft.
Jordan zeigt sich erfreut, dass Barbara Janom Steiner, seit 2012 Präsidentin des Bankrates, ebenfalls anwesend ist. Da sie am folgenden Tag ein Treffen mit dem Bundesrat habe, sei eine frühere Fahrt ins Emmental naheliegend gewesen: «Ich kenne und liebe das Emmental seit meiner Militärzeit», erklärt sie später beim Apéro. Sie erläutert die Aufgaben des Bankrates, der die Geschäftsführung der Nationalbank beaufsichtigt und kontrolliert. Als Dritter im Bunde ist Alexander B. Perruchoud anwesend, ebenfalls im SNB-Direktorium tätig, was «dreifache SNB-Power» garantiert.

Mit nichts vergleichbar
Zu Beginn seiner Ausführungen erinnert Jordan daran, dass die Coronapandemie mit keiner normalen Krise, Rezession und Ähnlichem vergleichbar sei, sondern «fast einem Krieg gleicht». Die erlassenen Eindämmungsmassnahmen, die zahlreichen Verbote, besonders auch bei sportlichen Aktivitäten und im Hotellerie- und Gastrobereich, haben das Alltagsleben massiv beeinträchtigt. Ganze Wirtschaftssektoren sind lahmgelegt worden. Er spricht davon, welche Herausforderungen auf die Wirtschaftspolitik zugekommen und welche Massnahmen ergriffen worden sind, um diese aussergewöhnliche Krise zu bekämpfen: «Von Bedeutung sind natürlich die wirtschaftliche Lage in der Schweiz und im Ausland sowie die aktuelle Geldpolitik der SNB und wie diese im Kontext zur internationalen Geldpolitik steht.»
«Welche Herausforderungen und wirtschaftspolitischen Massnahmen waren für die Bewältigung dieser aussergewöhnlichen Coronakrise nötig?», fragt Jordan und weist auf eine Statistik hin, die mit der Finanzkrise 2007 beginnt, als die Märkte weltweit erschüttert worden sind. «Seit damals hat sich der Konsum auf der ganzen Welt linear entwickelt, während die Ausrüstungsinvestitionen auf Einschätzungen der Unternehmen bezüglich Zukunftsperspektiven enorm stark sowohl positiv als auch negativ reagiert haben. In der Coronakrise sind beide Positionen stark eingebrochen, was die Bevölkerung – auch wegen der unklaren Gesundheitsprognosen – sehr verunsichert hat. Der Konsum hat sich als sehr volatil (unbeständig) erwiesen. Das hat die Krise massiv verschärft. Im zweiten Quartal 2020 hat das ein Ausmass angenommen, wie wir es seit 1970 nicht mehr gesehen haben; weltweit nicht mehr seit Ende des Zweiten Weltkrieges.»

Kurzarbeit als Lösung
Wegen der starken Restriktionen für Unternehmen und den Eindämmungsmassnahmen hat sich die Kurzarbeit als wirkungsvolles Gegeninstrument erwiesen. «Zwischenzeitlich hat sich ein Drittel aller Beschäftigten in Kurzarbeit befunden. Das kann nicht von der SNB finanziert werden, sondern ist Aufgabe von Bundesrat und Parlament.» Der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist entsprechend moderat ausgefallen. «Diese fiskalpolitischen Massnahmen – primär Kurzarbeit, Arbeitslosenversicherung und Direktunterstützungen – haben eine grosse Rolle in der Krisenbewältigung gespielt.» Jordan erwähnt noch «die brühmten Covid-19-Kredite, ein ‹aussergewöhnliches Instrument›, das praktisch erfunden werden musste. Weltweit hat das nirgends so gut funktioniert wie in der Schweiz.» Die Banken haben die Kredite den Unternehmen verteilt, das Risiko hat der Bund übernommen. Die SNB hat das Geld zu sehr guten Bedingungen (–0,75 Prozent für die Banken) zur Verfügung gestellt, welche die Kredite zinsfrei weitergereicht haben. «Dann ist die Post abgegangen. In kurzer Zeit haben rund 130 000 Firmen Kredite beantragt. Ein Grossteil dieser Kredite ist bei der SNB refinanziert worden. Die beantragten Summen beliefen sich auf knapp 20 Milliarden Franken. Das Hilfsangebot hat viel zur Beruhigung der Wirtschaft beigetragen», fasst Jordan zusammen. Rund 78 Prozent der Corona-Kredite sind von Kleinstunternehmen mit einer bis fünf Personen beantragt worden, die im Krisenfall nirgends einen Überbrückungskredit erwarten konnten.

Monetäre Bedingungen
«Zinssätze und Wechselkurse spielen für die Währungsstabilität eines Landes eine grosse Rolle», erläutert Jordan. Er erklärt die Wechselwirkung der harten Währung Schweizer Franken, die Flucht unsicherer Währungen in diesen sicheren Hafen, die Konsequenzen der Aufwertung für die Exportwirtschaft und alle damit zusammenhängenden Fragen wie den Konkurrenzdruck durch die Importe günstiger ausländischer Produkte. «Aus diesem Grund sind Devisenkäufe unumgänglich, um den Franken im Gleichgewicht zu halten.» Er nennt die Summen, mit denen die SNB den Franken am Devisenmarkt durch Zukäufe stabilisiert hat: «Im ersten Quartal 2020 waren es mehr als 30 Milliarden Franken, im zweiten Quartal kumuliert mehr als 90 Milliarden Franken, Ende 2020 mehr als 100 Milliarden Franken. Dadurch konnten wir die Aufwertung in Grenzen halten und die Wirtschaft schützen. International betrachtet ist die Schweiz relativ gut durch die Coronakrise gekommen.»
Anhand einer Statistik sehen die Anwesenden, dass sich laut Jordan «China, wo das Virus erstmals im vierten Quartal 2019 diagnostiziert worden ist, nach einem frühen Einbruch wirtschaftlich schnell erholt hat, während andere Volkswirtschaften mit einem Quartal Verspätung bedeutend eingebrochen sind: Schweiz: –8 Prozent, Amerika: –10 Prozent, Euro-Zone: –15 Prozent und England mehr als –20 Prozent. Die Erholungsphasen verlaufen schleppend und unterschiedlich.»

Starke Wachstumsdynamik
Jordan bestätigt, dass die Aufhebung der Eindämmungsmassnahmen eine starke Erholungs- beziehungsweise Wachstumsdynamik in der Schweiz und weltweit ausgelöst hat. Die Inflation ist auf der ganzen Welt gestiegen, in der Schweiz moderat unter 1 Prozent, in Amerika über 5 Prozent, in England und der Euro-Zone circa 3 bis 3,5 Prozent. «In den letzten Jahren betrug die Schweizer Rate zwischen Minuswerten und 0,1 bis 1 Prozent. Hier sind die verschiedenen Zentralbanken verpflichtet, genau hinzusehen und wenn nötig Massnahmen zu ergreifen.»
Abschliessend versichert Jordan, dass «die SNB die Preisstabilität in der Schweiz erhalten und die expansive Geldpolitik unverändert weiterführen wird. Positive Bankzinsen können erst 2024 erwartet werden – in Amerika und England ab 2022. Eine wirtschaftliche Erholung ist weltweit im Gang, obwohl die Unsicherheiten noch gross sind.» Er betont, dass «die SNB am Geldmarkt nur interveniert, wenn es nötig ist».
Das Publikum dankt mit anhaltendem Applaus für die Ausführungen. In der anschliessenden Fragerunde nimmt sich Jordan nochmals 45 Minuten Zeit, um auf alle Fragen – auch die sich ergebenden nicht gestellten Anschlussfragen – umfangreich und gut verständlich zu antworten. Beim von der Kantonalbank gespendeten Apéro riche diskutieren alle inklusive Thomas Jordan und Barbara Janom Steiner ausgiebig miteinander.

Gerti Binz
 


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