Sie haben die Ehrung absolut verdient
05.11.2021 Aktuell, Foto, Kultur, Burgdorf, GesellschaftZu Beginn der Feier im Stadthauskeller Burgdorf gibt Manfred Schaffer, Präsident der Burdorfer Sozialkommission, die Namen sämtlicher für den Sozialpreis nominierten Kandidaturen bekannt, die «sich alle engagiert und ehrenamtlich zum Wohl der Allgemeinheit eingesetzt und einen Preis verdient haben. Aber das geht leider nicht.» Er empfiehlt den «Leer-Ausgegangenen», sich 2023 erneut zu bewerben.
Das Helferteam in der Coronakrise
Esther Liechti hält die Laudatio für den Verein healthyEmmental mit Präsident Yves Aeschbacher, dessen Vorstand sich bei Ausbruch der Coronapandemie und den sich innert Tagen ergebenden Problemen infolge des Lockdowns Sorgen gemacht hat, wie weite Teile der Bevölkerung die gravierenden Probleme bewältigen können. «Von heute auf morgen werden Fragen wie das Einkaufen, die Fahrt zum Arzt, in die Apotheke, das Hüten der Enkelkinder, wenn die Eltern arbeiten gehen, und anderes mehr zu existenziellen Fragen. Hier hat haealthyEmmental innert kürzester Zeit mit dem Aufschalten der Telefonnummer 079 640 76 19 einen Lösungsansatz aufgezeigt, der dank rund 70 freiwilligen Helferinnen und Helfern monatelang problemlos funktioniert hat.»
Insgesamt 111-mal gelangen die guten Geister zum Einsatz, wobei das erste Hilfsgesuch aussergewöhnlich gewesen ist. Eine Bäuerin arbeitet halbtags auf der Intensivstation des Spitals Emmental in Burgdorf. Ihr Arbeitseinsatz ist dringend nötig, aber wer versorgt das Vieh? Hier kann geholfen werden, genau wie in all den anderen Fällen.
Da Yves Aeschbacher beruflich bedingt abwesend ist, nimmt Vizepräsident Patrick Roth die Urkunde und Glückwünsche sowie das halbe Preisgeld von 4000 Franken entgegen. Letzteres werde wie auch immer mit den Helfenden geteilt. Roth verweist auf die enge und erfolgreiche Zusammenarbeit der Freiwilligen mit Vertretungen der reformierten Kirche Burgdorf und der Stiftung intact.
Jahrzehntelanger Einsatz
Peter Hauser hält die Spannung betreffend der bisher unbekannten Person – welche die zweite Hälfte des Sozialpreises 2021 gewonnen hat – noch eine Weile hoch. Vorerst zählt er akribisch das jahrzehntelang dauernde und unentgeltliche Engagement derselben in ganz unterschiedlichen Bereichen auf: «Sie hat sich schon für sehr viele Personen eingesetzt, auch in der Coronazeit und während des Lockdowns. Vor allem aber gilt ihr Engagement den Asylbewerbern/-innen. Von Anfeindungen hat sie sich nicht abschrecken lassen.»
Hauser zählt den beeindruckenden Lebenslauf der unermüdlichen Helferin auf: Kindergärtnerin, Logopädin, Pfarrerin der evangangelisch-methodistischen Kirche (EMK) Bern und noch heute mit über 75 Jahren bei der EMK Burgdorf Beauftragte für sozialdiakonische Aufgaben. Dann nennt Hauser den Namen dieser aussergewöhnlichen Frau: Annemarie Studer. Riesiger Applaus brandet auf, unter anderem die zahlreichen Anwesenden mit Migrationshintergrund jubeln und feiern ihren «guten Engel». Die bis dahin ahnungslose Seniorin verbirgt ihr Gesicht in den Händen und stammelt: «Wäre nicht nötig gewesen.» Sie wird umarmt, geküsst, gefeiert, beklatscht, es hört minutenlang nicht auf. Hauser zählt weitere Aktivitäten von Annemarie Studer auf: «Sie unterstützt Migranten beiderlei Geschlechts und aller Altersgruppen beim Erlernen von Deutsch, sei es in Deutschstunden beim interkulturellen Frauentreff, in vielen einzelnen Förderstunden, im Kleingruppenunterricht, beim Begleiten von Kinderprogrammen im Quartier, am ‹Samschtig-Zmorge› der EMK, mit Lebenshilfe im Alltag und mit Lektionen für Prüfungsvorbereitungen bei ihr zu Hause. Unzählige Geflüchtete haben bei ihr ein Stück Zuhause, Nähe, Freundschaft und Lebensfreude gefunden. Viele haben dank ihr einen Deutschtest bestanden», schliesst Hauser.
«Ds Gyri-Grosi» Annemarie
Daneben engagiert sie sich in ihrem Wohnquartier und unterstützt die Quartierarbeit im Gyritreff beim Basteln, Spielen im Park, Backen und bei Gesprächen über Gott und die Welt. Für viele Kinder ist sie «ds Gyri-Grosi». Weiter nutzt sie Weiterbildungsmöglichkeiten, um sich Wissen zu den anspruchsvollen Themen im Migrationsbereich anzueignen. Viele Rekurse, Härtefälle und Einsprachen hat sie schon begleitet und dabei wertvolle Erfahrungen zum Nutzen der betroffenen Personen einbringen beziehungsweise sammeln können.
«Annemarie Studer hat diesen Preis für ihren unermüdlichen Einsatz zum Wohl dieser Gruppen – und das seit Jahrzehnten – verdient», schliesst Hauser. «Sie denkt immer zuerst an Menschen in Not, bietet auch finanzielle Hilfe – sie gibt sprichwörtlich ihr letztes Hemd. Das halbe Preisgeld von 4000 Franken wird sicher sinnvoll eingesetzt.»
Beim anschliessenden Apéro wird die Geehrte von allen Seiten immer wieder beglückwünscht.
Gerti Binz