Ein Dorfladen mit Herz verschwindet
15.12.2020 Alchenflüh, Foto, Wirtschaft, Gesellschaft, RegionNoch Ende März 2020 berichtete «D’REGION» im Rahmen eines Artikels über den Einfluss der Coronakrise auf regionale KMU über den Treffpunkt Alchenflüh. Solang es nicht zu einer Verschärfung der Massnahmen komme, «bleiben wir von negativen Auswirkungen im Geschäftsverlauf verschont», teilte damals Markus Müller, Mitinhaber und Geschäftsführer der BEO-Market GmbH, mit. Nun hängt am Eingang des Dorfladens ein Schild: «Bis auf Weiteres geschlossen.» Dass daraus wohl eine längere Zeit werden könnte, wissen die Mitarbeiterinnen, welche die sehr rasche Schliessung vor etwa drei Wochen immer noch nicht ganz verarbeitet haben, nur zu gut. «Das Coronavirus hatte damit nichts zu tun», sind sich die Frauen einig. Am meisten weh tut ihnen, dass sie sich nicht gebührend bei ihren Kundinnen und Kunden bedanken und von ihnen verabschieden konnten.
Erst im Februar 2020 fand die Wiedereröffnung des Dorfladens statt, neu unter der Leitung der BEO-Market GmbH, welche auf dem Beatenberg im Berner Oberland ebenfalls einen Lebensmittelladen betreibt. Nur knappe zehn Monate später, am
23. November 2020, ist bereits wieder Schluss. Anzeichen dafür, dass etwas nicht ganz rund lief, hatten die Mitarbeiterinnen schon seit längerer Zeit bemerkt. Sie berichten von offenen Rechnungen, abgesprungenen Lieferanten, spät ausgezahlten Löhnen, Lieferungen nur gegen Vorbezahlung und am Ende sogar nur gegen Bargeld. «Wir wurden immer wieder vertröstet. Wir haben grosses Vertrauen gezeigt, dass aber missbraucht wurde», erklärt Monika Reist, eine der ehemaligen Mitarbeitenden des Dorfladens. Während der Coronazeit sei das Geschäft sogar besser gelaufen. «Wir haben in dieser Phase ein ganz neues Zielpublikum erreicht. Viele Junge und Familien haben hier gerne eingekauft und Menschen, welche in solchen Zeiten nicht mehr in Grossverteiler gehen wollten», so Monika Reist. Am schlimmsten treffe die Schliessung aber die älteren Einwohnerinnen und Einwohner, wie die ehemaligen Mitarbeiterinnen wissen: «Der Dorfladen war ein wichtiger sozialer Treffpunkt und sogar teilweise die einzige Kontaktmöglichkeit für ältere Menschen, für einige Alleinstehende oder Verwitwete.» Die Enttäuschung ist auch bei den ehemaligen Mitarbeitenden gross. «Es hat uns extrem gut gefallen, man hat einfach mit allen gerne zusammengearbeitet. Es war ein Traum, dort zu arbeiten – daraus ist jetzt aber ein Albtraum geworden. Falls der Geschäftsinhaber mit uns das Gespräch gesucht hätte, hätten wir sicher auch eine Lösung finden können.» Alle Frauen, welche altersmässig bis zu 30 Jahre auseinanderliegen, hoffen sehnlichst darauf, dass sie den Dorfladen zu einem späteren Zeitpunkt unter einer neuen Führung wieder zusammen als Team mit Leben füllen dürfen. Denn alle sind sich sicher, dass sich der Standort lohnt: «Es ist der ideale Einkaufsort direkt beim Bahnhof. Bald kommen auch mehrere grosse Baustellen nach Kirchberg-Alchenflüh. Die Arbeiter könnten dort ihre Verpflegung holen.» Wo genau das Leck war, das zum Untergang des Treffpunktes Alchenflüh und der BEO-Market GmbH geführt hat, ist noch unklar. Markus Müller war für die Redaktion nicht erreichbar. Bis wieder ein Lädeli im ehemaligen Ladenlokal eröffnen kann, könnte aber noch einige Zeit vergehen. «Die Leute sollen nicht vergessen, dass hier ein Lädeli war und dass auch wieder eines daraus werden kann», hofft Monika Reist.
Für die Gemeinde Alchenflüh ist die Schliessung des Dorfladens ebenfalls ein grosser Verlust, wie Gemeinderatsvizepräsidentin Patrizia Lambroia mitteilt. «Viele Senioren haben das Lädeli unterstützt, damit es weiter bestehen bleibt. Auch darüber, dass der Laden am Sonntag geöffnet hatte, waren viele froh.» Durch den Verkauf von Gebührenmarken für Kehrichtsäcke sei der Treffpunkt Alchenflüh sehr wichtig gewesen. «Wir würden es sehr begrüssen, wenn wieder ein Lebensmittelladen dort einziehen würde», so Patrizia Lambroia. «Aber da uns die Liegenschaft nicht gehört, können wir die Vermieter nicht dazu zwingen. Auch diese müssen mit der Situation erst noch umgehen, da das Ganze ja sehr schnell passiert ist.»
Man merkt, dass der Treffpunkt Alchenflüh im Dorf bereits fehlt. Auch während dem Treffen mit der Zeitung «D’REGION» werden die Frauen von Passanten darauf aufmerksam gemacht, wie sehr man sie vermisst. Es vergehe kein Tag, an dem man nicht darauf angesprochen werde, erzählen die Frauen. Sogar zu Hause erhielten sie Nachrichten und Telefonate betreffend der Schliessung. Mittlerweile sind die Frauen beim RAV (Regionales Arbeitsvermittlungszentrum) angemeldet, doch der Traum, irgendwann wieder zusammen hinter der «Lädelitheke» zu stehen, ist noch nicht gestorben. Für Hilfe oder Unterstützung betreffend Dorflädeli sind die Frauen dankbar, gerne darf man sich bei Gabriele Markewitz per E-Mail g.salewski60@gmail.com melden.
David Kocher