Bodenständig und weltoffen
08.12.2020 Aktuell, Foto, Region, Politik, AlchenstorfIn der vergangenen Woche wählte die grosse Kammer des eidgenössischen Parlaments den Alchenstorfer Andreas Aebi zum Nationalratspräsidenten 2020/2021 und damit zum höchsten Schweizer. Der SVP-Politiker erzielte ein hervorragendes Ergebnis und erhielt 178 von 183 gültigen Stimmen. Im langjährigen Durchschnitt konnten die neuen Nationalratspräsidentinnen und -präsidenten jeweils um die 150 Stimmen auf sich vereinen. Das Resultat zeigt also, dass Aebi weit über die Parteigrenzen hinaus geschätzt wird und sehr gut vernetzt ist. Worin liegt also das Geheimnis seines Erfolgs? «Diese Frage müssen Sie nicht mir, sondern den anderen Parlamentarierinnen und Parlamentariern stellen», lacht Aebi im Gespräch mit der Zeitung «D’REGION». Er erläutert: «Ich vertrete keine Extrempositionen, kenne keine Berührungsängste und unterhalte mich gerne mit Personen aus den unterschiedlichsten Kreisen. Diese grundsätzliche Offenheit und das Verständnis für unterschiedliche Ansichten und Mentalitäten helfen mir nicht nur im Leben weiter, sondern sind auch im Ratsbetrieb und als Abgeordneter nützlich.»
Steile politische Karriere
Der Landwirt, Auktionator und Reiseveranstalter verdiente sich seine ersten politischen Sporen auf kommunaler Ebene. Von 1998 bis 2008 amtierte er als Gemeindepräsident von Alchenstorf. Im Jahr 2007 nominierte ihn die SVP als Nationalratskandidaten – Aebi schaffte auf Anhieb den Sprung ins Bundeshaus. Seither gelang ihm die Wiederwahl stets mit einem Spitzenergebnis. Im Parlament profilierte sich der Alchenstorfer unter anderem als Landwirtschafts- und Aussenpolitiker. 2012/2013 präsidierte er die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats, welcher er nach wie vor angehört. Zudem amtiert er als Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Das Nationalratspräsidium stellt den bisherigen Höhepunkt seiner politischen Karriere dar. Zu seinen grössten persönlichen Erfolgen gehört die erfolgreiche Kandidatur von Burgdorf für die Durchführung des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests im Jahr 2013. «In der Ausmarchung setzten wir uns damals als Aussenseiter gegen Thun in einem Kampf wie David gegen Goliath durch. Das Schwingfest avancierte zu einem riesigen Erfolg für die gesamte Region. Fahre ich durch die Ey, wo das Fest aller Feste stattfand, zaubert die Erinnerung jedes Mal von Neuem ein Lächeln auf mein Gesicht.»
Zusammenhalt, Zuversicht und Zufriedenheit
Das Amt als Nationalratspräsident tritt Aebi in einer aussergewöhnlichen Situation an. Die Welt sieht sich mit der grössten Pandemie seit der Spanischen Grippe konfrontiert, die von 1918 bis 1920 rund um den Globus wütete. In seiner Antrittsrede betonte Aebi denn auch die Bedeutung von Solidarität und Verzicht und gedachte all jener, welche durch die Krise einen geliebten Mitmenschen verloren haben, sich einsam fühlen oder um ihren Arbeitsplatz fürchten. Er hob aber auch hervor, dass die Lebensfreude und Leidenschaft als Treibstoff für ein aktives, motivierendes und sinnerfülltes Leben keineswegs verloren gehen dürfen. Sein Präsidialjahr will er unter das Motto Zusammenhalt, Zuversicht und Zufriedenheit stellen.
Griffige Lösungen für KMU in Not
«Die Schweiz meistert die Situation bisher verhältnismässig gut», erläutert Aebi gegenüber der Zeitung «D’REGION». «Keine westliche Nation agiert in dieser Krise fehlerfrei. Überall werden immer wieder Rückfälle und Neuinfektionen verzeichnet. Einzig Neuseeland hat aufgrund seiner besonderen geografischen Lage das Virus weitgehend eindämmen können. Die Informationen aus der restlichen Welt sind teilweise mit Vorsicht zu geniessen. Meldet ein Staat praktisch keine Infektionen, stellt sich natürlich die Frage, wie viel überhaupt getestet wird. Bei uns in der Schweiz präsentiert sich die Ausgangslage von Region zu Region unterschiedlich. Die Situation im Tessin lässt sich nicht mit jener in der Deutschschweiz vergleichen – dementsprechend anders sind die Erfordernisse. Allerdings hat sich die Wichtigkeit von einheitlichen Massnahmen in der ganzen Schweiz deutlich herauskristallisiert. Der Föderalismus stösst bei der Pandemiebekämpfung an Grenzen. Deshalb ist ein ausgewogener Balanceakt der richtige Weg.» Aebi hofft, dass das Parlament in den nächsten Tagen griffige Lösungen erarbeitet, um KMU, die unverschuldet in Schwierigkeiten geraten sind, zu unterstützen: «Viele kleine und mittlere Unternehmen, die um ihr Überleben kämpfen, haben bis heute keinen Franken erhalten. Überlässt der Bund einzig und allein den Kantonen die schwierige Aufgabe, bedrängten Betrieben beizustehen, führt dies zu einer Wettbewerbsverzerrung. Während finanzstarke Kantone beispielsweise die schwer gebeutelte Reisebranche grosszügig unterstützen können, verfügen finanzschwache Kantone nicht über dieselben Möglichkeiten. Die daraus resultierende Ungleichbehandlung ist für die Betroffenen ungerecht und stossend.»
Allroundtalent
In seinem Amt als Nationalratspräsident stehen Andreas Aebi die 33-jährige Vizepräsidentin Irène Kälin (Grüne) sowie der 40-jährige Vizepräsident Martin Candinas (CVP) zur Seite. «Zusammen bilden wir ein starkes generationenübergreifendes Team», so Aebi. Zu den vielseitigen Aufgaben als Ratspräsident gehören die Leitung der Sitzungen des Nationalrats und der Vereinigten Bundesversammlung sowie des Ratsbüros, die Dringlichkeitserklärungen von Anfragen, Rufe zur Ordnung und die Verhängung von Disziplinarmassnahmen, die Ausübung des Hausrechts in den Ratssälen, die Mitbestimmung des Erstrates für die Behandlung der anstehenden Geschäfte, die Festlegung der Tagesordnung im Rahmen der Sessionsplanung sowie die Vertretung des Rates gegen aussen. Als Ratspräsident äussert sich Aebi in der Regel nicht zur Sache und stimmt nur dann mit, wenn die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder jedes Rats erforderlich ist. Bei Stimmengleichheit fällt er den Stichentscheid. Um eine reibungslose Organisation in und um das Bundeshaus zu gewährleisten, steht ein Verwaltungsapparat von rund 300 Personen zur Verfügung – vom Protokollschreiber über das Sicherheitspersonal bis hin zu Übersetzerinnen und Übersetzern. Die Ratspräsidentin beziehungsweise der Ratspräsident muss also ein Allroundtalent sein. Gefragt sind Kenntnisse im Managementbereich, diplomatisches Geschick, Einfühlungs- und zugleich Durchsetzungsvermögen. In hektischen und emotional aufgeladenen Situationen gilt es, einen ruhigen Kopf zu bewahren. «Als Präsident des OKs des ESAF 2013 in Burgdorf, als ehemaliger Bataillonskommandant und aufgrund meiner langjährigen Verbandsarbeit – unter anderem als Präsident von swissherdbook – verfüge ich über die notwendige Führungserfahrung und weiss genau, wie grosse Versammlungen geleitet werden müssen. Ich setze mir zum Ziel, mein Mandat möglichst effizient und unparteiisch zu erfüllen, stets mit dem Blick auf das Wesentliche.» Der Start ins Amt ist Aebi jedenfalls wie gewünscht geglückt: «Ich fühle mich wohl und freue mich auf die kommenden Herausforderungen. Die Pandemiesituation erfordert permanent eine neue Lagebeurteilung. In der Parlamentsführung müssen wir situativ reagieren und auch bereit sein, neue Wege zu beschreiten.»
Den Dialog zwischen Stadt und Land fördern
Als Ratspräsident will Andreas Aebi mit dazu beitragen, den Dialog zwischen Stadt und Land zu fördern. Bei den letzten eidgenössischen Abstimmungen – bei der Konzernverantwortungsinitiative und bei der Revision des Jagdgesetzes – offenbarten sich grosse Gräben zwischen den ländlichen Gebieten und den urbanen Zentren. Um das gegenseitige Verständnis zu fördern, ruft Aebi ein Projekt für Schulklassen ins Leben und organisiert für Schülerinnen und Schüler aus ländlichen Regionen Exkursionen nach Bern. Umgekehrt erhalten städtische Schulklassen die Gelegenheit, auf Ausflügen von der Landwirtschaft geprägte Gebiete besser kennenzulernen. «Verschiedene Firmen unterstützen das Projekt mit namhaften Beiträgen, sodass die Unkosten möglichst tief gehalten werden und viele Jugendliche von diesem Angebot profitieren können. Ich möchte damit einen Beitrag leisten, um der weiteren Entfremdung vorzubeugen.»
Wahlfeier im Sommer?
Die Feierlichkeiten anlässlich der Wahl von Andreas Aebi zum Nationalratspräsidenten konnten coronabedingt nicht wie geplant durchgeführt werden. Der Festakt sollte in der Holz-Halle in Trub stattfinden, später wären die Gäste in der Markthalle in Burgdorf verköstigt worden. «Als stolzer Emmentaler hätte es mich natürlich ausserordentlich gefreut, den Gästen aus der ganzen Schweiz unsere Region – das untere und das obere Emmental – mit ihren vielen Vorzügen und der wunderschönen Landschaft näherzubringen.» Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Falls es die Lage zulässt, wird die Präsidialfeier im Sommer – am Mittwoch, 16. Juni 2021 – nachgeholt.
Faszination Reisen
Berufsbedingt ist es Andreas Aebi mittlerweile gewohnt, flexibel zu reagieren und kurzfristig Pläne und Anlässe zu verschieben oder umzuorganisieren. Am wenigsten tangiert ihn die Corona-Situation als Landwirt. Die Verantwortung für den Hof in Alchenstorf hat er Anfang Jahr seinem jüngsten Sohn Raphael übergeben. In jeder freien Minute arbeitet der 62-Jährige aber tatkräftig mit und legt selbst Hand an. «Die Pandemie zeigt uns auf, wie wichtig eine nachhaltige Landwirtschaft ist. Es ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit, dass die Lebensmittelproduktion und die Versorgungssicherheit in Krisenzeiten reibungslos funktionieren und gewährleistet bleiben», betont Aebi. Zahlreiche Auktionen mussten dagegen abgesagt werden. Besonders schwer leidet natürlich die Reisebranche unter der gegenwärtigen Situation. Auch Aebi Reisen musste Hunderte von Buchungen annullieren. Jegliche Planungssicherheit fehlt momentan. Dennoch bleibt Andreas Aebi optimistisch: «Viele Menschen träumen davon, wieder auf Reisen zu gehen, sobald es die Situation erlaubt. Das Bedürfnis, neue Kulturen kennenzulernen und den eigenen Horizont zu erweitern, ist keineswegs erloschen und übt nach wie vor eine riesige Faszination aus.»
Andreas Aebi selbst hat viel von der Welt gesehen. Als 18-Jähriger absolvierte er ein Auslandspraktikum in Kanada. Seither hat der Emmentaler sämtliche Erdteile bereist und Kontakte auf dem ganzen Globus geknüpft. Seine Präsidialreisen wird er in enger Absprache mit dem Aussendepartement und Bundesrat Ignazio Cassis planen: «Unser Ziel ist es, die diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten zu stärken und in Krisenregionen präsent zu sein.»
Markus Hofer