Sanierung der Markthalle-Finanzen ist unumgänglich

  25.06.2019 Aktuell, Politik, Wirtschaft, Foto, Burgdorf

Nach über einer Stunde stimmt der Stadtrat – teils widerstrebend – den nötigen Massnahmen zu. Alles andere wäre nach den detaillierten Ausführungen von Stadtpräsident Stefan Berger auch kurzsichtig und für den Burgdorfer Steuerzahler mit beträchtlichen Millionenverlusten verbunden. Er plädiert dafür, absolute Transparenz zu schaffen und sich nach mehreren Jahren Betriebsführung an die unterschiedliche Beurteilung der Risiken von 2012 und 2019 zu erinnern.

Heute besteht ein fassbarer Wert
In einem Rückblick fasst Berger die seinerzeitige Situation vor dem Umbau zusammen, für den der Stadtrat am 5. November 2012 ganze 7,25 Millionen Franken an die Umbau- und Renovationskosten der Markthalle von total 11,8 Millionen Franken bewilligte. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus einem Investitionsbeitrag à fonds perdu von 6 Millionen Franken und einem Beitrag von 1,25 Millionen Franken für die Zinsverbilligung (-1,5 Prozent) eines Darlehens von 5 Millionen Franken, das innert 40 Jahren zurückbezahlt werden muss. Zum damaligen Zeitpunkt hat niemand mit Zusatzkos­ten für die Stadt Burgdorf gerechnet; der Finanzplan der Markthalle Burgdorf AG (MHAG) ist gemäss den damaligen Zahlen von einer positiven Entwicklung ausgegangen.
Durch die Erhöhung des Aktienkapitals der Markthalle ist – dank des städtischen Beitrages à fonds perdu von 6 Millionen Franken – der Aktienanteil der Stadt von rund 75 Prozent auf den heutigen Anteil von 99,45 Prozent gestiegen.
Die Markthalle ist planmässig unter Beibehaltung des Budgets saniert und im November 2015 wiedereröffnet worden. Als positive Entwicklung führt der Stadtpräsident die gestiegene Auslastung nach dem Umbau um 60 Prozent aus. Zudem hat sie sich zu einem wichtigen Zentrum für Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft in der Region und darüber hinaus entwickelt und wird dank ihrer zeitgemässen Infrastruktur entsprechend oft und gerne gebucht. Berger kann Frühbuchungen bis ins Jahr 2022 bekannt geben.

Falsche Voraussetzungen
In der jetzigen Vorlage an den Stadtrat betreffend «Konsolidierung Markthalle» schreibt der Gemeinderat, dass sich der Stadtrat bei seiner Beschlussfassung über Beiträge und Darlehen im Jahr 2012 auf die ausgeglichene Planerfolgsrechnung der MHAG abgestützt habe, die Abschreibungen von 136 000 Franken vorgesehen hat. Nicht berücksichtigt worden ist der städtische À-fonds-perdu-Betrag von 6 Millionen Franken, auf den ebenfalls Abschreibungen getätigt werden müssen. Diese betragen insgesamt 287 097 Franken und sind mehr als doppelt so hoch wie budgetiert.
Genau wie Berger nehmen auch seine Nachredner das Wort «Konkurs» sehr ungern in den Mund, aber bisweilen lässt sich das nicht verhindern. Falls eine angestrebte Konsolidierung nicht realisiert werden kann, weist der MHAG-Verwaltungsrat – der übrigens praktisch in corpore auf der Zuschauertribüne Platz genommen hat – auf die Folgen hin: Die Bilanz muss deponiert werden, ein Konkurs ist unausweichlich. Berger spricht Klartext: Die städtischen Millionenbeträge müsste die Stadt als Verluste abschreiben, was den Steuerzahler empfindlich treffen würde. Eventuell würde die Markthalle versteigert oder eine Auffanggesellschaft gegründet.
Entsprechend diesen Ausführungen hat der Gemeinderat dem Stadtrat als Ausweg folgenden Antrag vorgelegt: Übernahme der jährlichen Abschreibungen von derzeit 332 097 Franken ab 2019. Die Verluste werden von der Darlehensschuld der MHAG abgezogen. Der Stadtrat bewilligt die Erhöhung des rückzahlbaren Betriebsdarlehens von 0,5 Millionen Franken auf eine Million Franken. Das Darlehen wird zum durchschnittlichen Kapitalzins mit einem Zuschlag von 0,5 Prozent ver­zinst.

Fehlende Unterlagen
Namens der FDP bemängelt Sprecher Jürg Kämpf bei der MHAG «mangelnde Unterlagen, keine Bilanz und keinen Geschäftsbericht, um sich über die finanzielle Lage und Entwicklung ein aussagekräftiges Bild machen zu können. Die Übernahme der jährlichen Abschreibungen von 332 000 Franken wird abgelehnt.» Die Grundproblematik der MHAG bestehe darin, dass «sie nie Geld erwirtschaften wird für Abschreibungen, Zinszahlungen oder kleinere Investitionen. Die Darlehensrückzahlung ist nicht realistisch, da keine liquiden Mittel vorhanden sind.» Die FDP erwartet bis zur ersten Jahreshälfte 2021 eine genaue, dokumentierte Analyse des IST-Zustandes, damit auch konkrete Varianten wie der Verkauf der Markthalle debattiert werden können.
Kurzfristig hat die FDP zusammen mit der BDP folgenden Abänderungsantrag eingereicht: Nur für das laufende und das kommende Jahr übernimmt die Stadt die im Antrag genannten Kosten des Betriebsbeitrages von neu einer Million Franken. Spätestens im Mai 2021 legt die MHAG dem Stadtrat einen Businessplan für eine Neubeurteilung vor. Daraus ist ersichtlich, wie sich ein selbsttragender Betrieb realisieren lässt.

Und dann kommt alles anders
Es folgt ein gemeinderätlicher Überraschungscoup namens «Bereinigungsantrag», der alle für einmal vollständig anwesenden 40 Mitglieder des Stadtrates staunen lässt: «Der Stadtrat beantragt dem Gemeinderat, zusammen mit der Markthalle AG den aktuellen Betriebsauftrag zu prüfen sowie mögliche längerfris­tige Strategien und Businesspläne zu erarbeiten und dem Stadtrat bis Ende 2020 mit einem neuen Antrag vorzulegen. Der Stadtrat bewilligt
die Erhöhung des rückzahlbaren Betriebsdarlehens von 0,5 Millionen Franken auf eine Million Franken. Das Darlehen wird zum durchschnittlichen Kapitalzins mit einem Zuschlag von 0,5 Prozent verzinst.» Von der Übernahme einer jährlichen und unbefristeten Abschreibung von 332 000 Franken ist plötzlich keine Rede mehr. Zudem ist der frühere Hinweis, dass der Beschluss dem fakultativen Referendum unterliege, gestrichen worden.
Stadtratspräsidentin Barbara Lüthi ordnet eine Pause für die jetzt nötigen Diskussionen in den Franktionen an, die von fünf auf über 15 Minuten ausgedehnt werden muss. Für FDP-Sprecher Kämpf ändert sich nichts, noch immer fehlen wichtige MHAG-Unterlagen. Er fordert vor allem eine genaue Analyse des Gastrobetriebes, der für die Angestellten eine Lohnsumme von  800 000 bis 900 000 Franken ausweist. Philipp Schärf (GLP) und Simon Kühni (SVP) verlangen Rückweisung des Geschäftes, wobei Schärf noch ehemalige Verwaltungsratsmitglieder mit Ersatzklagen in die Verantwortung nehmen will. Auch andere Parteisprecher bemängeln die gemachten Fehler rund um die Markthalle. Der Rat lehnt den GLP-Rückweisungsantrag mit 27 Nein- zu 12 Ja-Stimmen und bei einer Enthaltung ab. Dass die Rettung der Markthalle ein überparteiliches Anliegen ist, zeigt die Annahme des FDP/BDP-Antrages, der mit 27 Ja zu 10 Nein bei drei Enthaltungen deutlich passiert.

Gerti Binz

 

 

Städtischen Angestellten wird Exekutivamt verwehrt
Im September 2017 fordern die Grünen in einer Motion betreffend Unvereinbarkeit eines Exekutivamtes mit einer Anstellung bei der Stadt eine entsprechende Anpassung der Gemeindeordnung. Das Exekutivamt sei unvereinbar mit einer Anstellung bei der Stadt Burgdorf sowie als Geschäftsleitungsmitglied bei einem Betrieb, an dem die Stadt mehrheitlich beteiligt ist. Von dieser Regelung ist die Lehrerschaft ausgenommen. Die neue Regelung tritt vor den Gemeindewahlen 2020 in Kraft. Der Gemeinderat weist darauf hin, dass die Motion der Grünen einerseits strengere und andererseits unterschiedliche Unvereinbarkeitsregeln im Gemeinde- bzw. Stadtrat und in einer Kommission verlangt.

Nicht unterschiedlich bewerten
Prinzipiell begrüsst der Gemeinderat strengere Regeln als den Minimalstandard des Gemeindegesetzes, steht jedoch unterschiedlichen Regelungen für die drei im Gemeindegesetz gleichwertig aufgelisteten Gemeindeorgane ablehnend gegenüber (ausgenommen Lehrpersonen in der Exekutive). Der Gemeinderat begründet seine Haltung ausführlich und kommt schliesslich zum Schluss, dass er «Bedenken gegenüber einer Mitgliedschaft einer Burgdorfer Lehrperson im Gemeinderat hat. Es erscheint gerechtfertigt, die Burgdorfer Lehrerschaft gleich zu behandeln wie alle übrigen bei der Stadt Beschäftigten.» Der Gemeinderat fordert folglich eine weitergehende, konsequentere Regelung, als von der Motion verlangt und weist darauf hin, dass die Legislative in ihrer Entscheidung über allfällige Änderungen frei sei.
Als Sprecherin der Grünen, welche die Motion vor 21 Monaten eingereicht hat, winkt Stadträtin Anna de Quervain ab: «Jedes Mitglied des Gemeinderates steht einer Direktion vor und hat dort weitreichenden Einfluss und Befugnisse. Als Stadtrat ist man eine von 40 Personen im Parlament und vertritt die Interessen der jeweiligen Wähler. Das sollte unterschiedlich bewertet werden.» In der anschliessenden Diskussion gehen die Meinungen auseinander.
Das Organisationsreglement soll nach dem Willen des Stadtrates so angepasst werden, dass künftig weder städtische Angestellte, solche von Betrieben mehrheitlich im Besitz der Stadt noch Lehrer der Volksschule in die Exekutive wählbar sind. Eine Wahl in den Stadtrat ist für alle möglich.
Der Burgdorfer Souverän hat diesbezüglich das letzte Wort: Er stimmt über die Teilrevision der Gemeindeordnung an der Urne ab.
Weitere zu revidierende Punkte, die der Stadtrat bereinigt hat und über die an der Urne entschieden wird, betreffen Nachkreditkompetenzen, längere Ernennungsperioden der Revisionsstelle, Zuständigkeiten bei Nachkrediten, Ausgabenkompetenzen, fakultatives Referendum für Nachkredite und anderes.

Frühkindliche Förderung
In Burgdorf ist vor vier Jahren ein Konzept für den Ausbau der frühkindlichen Förderung ausgearbeitet und vom Stadtrat angenommen, das im Juni 2016 vorgelegte Umsetzungskonzept jedoch knapp verworfen worden. Dem Bericht über das Umsetzungskonzept «Frühkindliche Förderung 2019» liegen nun Details mit prognostizierten Ausgaben von 112 400 Franken vor und beantragt werden neue wiederkehrende Ausgaben von 120 000 Franken pro Jahr, wobei gleichzeitig der überparteiliche Auftrag als erfüllt abzuschreiben sei. Nach engagierten Voten der Befürworter und mahnenden der Gegner einigt sich der Rat auf die Variante des Gemeinderates von 120 000 Franken pro Jahr (22 Ja, 16 Nein, zwei Enthaltungen) und votiert bei der Schlussabstimmung mit 39 Ja bei einer Enthaltung für den Antrag. Es bleibt offen, ob der anschliessende Applaus für die beim ersten Mal gelungene Abstimmung oder für die Bewilligung der frühkindlichen Förderung erfolgt ist. Gerti Binz


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