Das Volk sehnt sich nach einem Herrscher
12.03.2018 Aktuell, Kultur, Burgdorf, GesellschaftUnd die Königskrone funkelte an dieser zwölften Krönung in Burgdorf ganz besonders hell, weil die Verantwortlichen diese anspruchsvolle Situation mit Improvisationstalent bravourös gemeistert haben. Die Lösung für das inzwischen traditionelle Kleinkunstfestival in Burgdorf hat sich als optimal erwiesen. Die Verantwortlichen des «Zentrum BewegungPlus» stellten ihre Räume zur Verfügung, wo circa gleich viel Publikum wie im Casino der Krönung beiwohnen konnte.
Ungebrochene Nachfrage
Und sie kamen in Scharen. Wie eine spontane Umfrage beim Publikum am Samstag beim zweiten Block ergab, hatten – mit Ausnahme einer Handvoll Anwesenden – alle bereits den ersten Teil des Programms gesehen. Nur wenige kamen aus Burgdorf, die meisten aus dem Kanton Bern. Andererseits hatte man am Freitag jede Menge bekannte Burgdorfer Gesichter ausmachen können. Alle Künstler stammten aus der Schweiz, Deutschland und Österreich.
Den Auftakt machte am Freitag Comedia Zap (CH), deren gedrängtes Leben in engem Raum mit unverhofften Liebesturbulenzen eine Fülle Situationskomik aufwies. Das Publikum verlieh den Titel Hofnarr. Zum Scharfrichter wurde Roman Weltzien (D) befördert, der dem Publikum das von Facebook, Twitter, Youtube usw. gemarterte Gehirn zu Füssen legte. Das Duo Scheeselong (D) darf sich mit dem Titel Barde schmücken. Sie waren umwerfend schön, glamourös, mit Trompetengold auf Kleid und Haar, verrucht, spielten brillant Klavier und sangen berührend, hatten Durchhänger und liebten Sekt.
Als Letzter des ersten Blocks beantwortete Remo Zumstein (CH) mit teils todtraurigem Blick die Gretchenfrage, wie ein Poet den Alltagswahnsinn überlebt. Wer genau hinsah, bemerkte den Schalk in seinen Augen. Auf Panik reagierte er mit Lyrik, auf Stumpfsinn mit Unsinn und empfahl Überwindungsphilosophie als Überlebensstrategie. Dazu gab es Gratis-Unterricht in Holländisch. Er überzeugte das hingerissene Publikum völlig und erhielt am Ende des Abends die Königskrone aufs Haupt gedrückt.
Haus des Lebens
Auch den zweiten Teil moderierte der Welsche Carlos Henriquez, der mit viel Charme und spitzer Zunge durch den Abend führte. Genüsslich rieb er dem Publikum die Unterschiede zwischen Deutschschweizern und Romands unter die Nase: «Ihr stimmt immer das Gegenteil von uns Romands. Doch danke für No Billag.» Er konnte viele Lacher und Applaus verbuchen.
Jobert und Pancetta (CH, Burgfräulein/Ritter) konfrontierten Tigermütter und Karriereväter mit dem realen Zustand ihrer hochbegabten Kinder in den Schulstuben. Als mega-multifunktioneller Allrounderfinder präsentierte Stefan Heuss (CH, Herzog) unter anderem seinen, den Schweizer Gepflogenheiten angepassten Sparteller mit Seitenaufbau für selbst schöpfende Buffettkonsumenten, die damit die mindestens vierfache Masse auf die kleinsten und billigsten Teller häufen können. Valerio Moser und Manuel Diener (InterroBang, CH) können sich Grafen im Doppelpack nennen, da sie dem Publikum todsichere Tipps für das Abwimmeln von lästigen Spendeneintreibern vermittelten. Den Abend beschloss das Brüderpaar Junge Junge (D), das mit verblüffenden Zaubertricks die Gedanken des Publikums manipulierte und mit Charme und bestem Humor das Haus des Lebens entstehen liess, dessen Fundament man mit Offenheit und Improvisationstalent immer weiterentwickeln kann. Sie verliessen die Bühne als Prinzen, während Remo Zumstein unter tosendem Applaus gekrönt wurde.
Anspruch auf Applaus
Moderator Renato Kaiser übte am Samstag mit dem Publikum artgerechtes Applaudieren von eins bis zehn. Alle Künstler benötigten vor ihren Auftritten akustischen Zuspruch; also bitte Applaus der Stufe zehn.
Das Duo extra art (D, Hofnarren) bot unglaubliche Balancefiguren, bei denen das Publikum um Gleichgewicht flehte. Hier verbanden sich Artistik, Jonglage und Clownerie auf höchstem Niveau, die Mimik von Bernd Schwarze und Fabian Flender wechselte von zurückhaltend bis hinterhältig. Bastian Mayerhofer (D, Barde) liess sein Leben als beziehungsunfähiger Jemand/Niemand auf Gemüseebene Revue passieren und vergas keineswegs verblüffende schauspielerische Exzesse.
Ihr Auftritt rechtfertigte den Titel Scharfrichter, denn Patti Basler und Philippe Kuhn sezierten die Schweizer Schulstuben. Seminar setzte sich zusammen aus semi = halb und nar = Narr, was sich im Unterricht manifestiert. Weiter erläuterte Patti die «7 thinking steps» einer alt Bundesratstochter, womit sie das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreissen konnte. Die hell- bis tiefbraune Unter- und Oberhauttönung einzelner Parteifunktionäre erklärte das Duo mit der fortwährenden Bestrahlung durch eine Parteisonne.
Der studierte Philosoph Christian Johannes erlaubte dem Publikum als «Pumpernickel» (CH, Prinz) einen vertieften Einblick in die Problemzonen Herz, Schmerz, Messer und vieles mehr im Umfeld von musikalischer Stegreif-Comedy.
Als Schwarzer unter Schwarzen
Jan Rutishauser (CH) präsentierte defekte Liebeslieder und die unzähligen Möglichkeiten, mit seinen erträumten Erfolgen alltäglich zu scheitern. Die Pointen prasselten auf das Publikum ein, bevor er als Prinz von der Bühne ging. Simon Pearce (D, Herzog) überlebte als Schwarzer (Neger, was nur er sagen darf) unter Schwarzen (CDU und CSU in Bayern) und berichtete mit Augenzwinkern vom rassistischen Alltag eines nicht blütenweissen Mitmenschen in München. Michael Schuller (A, Ritter) zog das Publikum mit Zaubereien in seinen Bann, wenn er verblüfftes Staunen mit seinem Seil, den Spielkarten oder der Kontrolltafel beim Augenarzt hervorrief. Den fulminanten Abschluss der Samstag-Krönungsfeierlichkeiten boten die fünf Künstler von «Unduzo» (D), die singend und tanzend ihre Geräusch- und Meinungskulisse vermittelten, ebenfalls das Publikum mit einbezog und «A Cappella» für höchste Ansprüche präsentierten. Sie müssen selber klären, wie sie die verdiente Königskrone auf fünf Häupter gleichzeitig setzen. Natürlich geht das.
Gerti Binz