Was Dick- und Enddarmkrebs bedeutet
17.11.2015 Aktuell, Bildung, Region, Burgdorf, Gesellschaft«Dick- und Enddarmkrebs: neue Möglichkeiten.» So heisst der letzte Publikumsvortrag dieses Jahres im Spital Emmental in Burgdorf von übermorgen Donnerstag, 19. November, 19 bis 20 Uhr. Die Referierenden sind Professor Dr. med. Stephan Vorburger, Dr. med. Stefan Bauer und Dr. med. Michael Bühlmann.
«D’REGION»: Was darf das Publikum vom Vortrag erwarten?
Dr. Bühlmann: Die Behandlung des Dick- und Enddarmkrebses ist eine interdisziplinäre Aufgabe, weshalb drei in die Therapie dieser Erkrankung involvierte Spezialisten Aspekte aus ihrem Fachgebiet beleuchten. Dr. Bauer wird über Häufigkeit und Prävention von Dickdarmkrebs berichten. Er wird erklären, wie Dickdarmkrebs entsteht und welche erblichen Erkrankungen es gibt. Weiter wird er die Vorsorgemöglichkeiten und die Diagnostik dieser Erkrankungen erklären. Professor Vorburger wird neue chirurgische Behandlungsmöglichkeiten erläutern. Ich werde über die medikamentöse Nachbehandlung nach erfolgter operativer Entfernung des Tumors sprechen.
«D’REGION»: Ein Kernpunkt der Onkologie ist die Krebsprävention. Welches sind die Risikofaktoren?
Dr. Bühlmann: Bei vielen Krebsarten kann man eine Zunahme der Häufigkeit feststellen. Dies hat mindestens zum Teil mit dem westlichen Lebensstil zu tun. Neben chronischen Darmerkrankungen und genetischen Veränderungen, die zu Dickdarmkrebs führen können, stellt vor allem der Konsum von rotem Fleisch, insbesondere wenn es grilliert wird, einen Risikofaktor dar. Auch spielt der Tabak- und Alkoholkonsum eine Rolle. Umgekehrt kann der regelmässige Genuss von Gemüse, Früchten und Getreide sowie körperliche Aktivität beitragen, die Entstehung von Darmkrebs zu verhindern.
«D’REGION»: Bei welchen Krebsarten ist die Früherkennung besonders wichtig?
Dr. Bühlmann: Grundsätzlich ist eine Früherkennung bei allen Krebsarten wichtig. Die frühzeitige Entdeckung eines Tumors verbessert in der Regel die Behandlungsmöglichkeiten und die Prognose. Leider gibt es nur bei relativ wenigen Krebserkrankungen verlässliche Methoden zur Früherkennung. Beim Enddarm- und Dickdarmkrebs besteht die Möglichkeit, mit einer Darmspiegelung nicht nur bereits vorhandene Krebsgeschwüre zu entdecken, sondern es können auch Vorstufen in der Krebsentstehung – Polypen – entfernt werden. Andere Früherkennungsmethoden sind beispielsweise die Mammographie beim Brustkrebs, die Bestimmung eines sogenannten Tumormarkers im Blut beim Prostatakrebs – PSA – sowie der «Krebsabstrich» beim Gebärmutterhalstumor. Einige dieser Früherkennungsmethoden sind in ihrem Nutzen umstritten.
«D’REGION»: Welches sind die wichtigsten Behandlungsmethoden der Onkologie?
Dr. Bühlmann: Beim lokal fortgeschrittenen Enddarmkrebs kann bereits vor der Operation eine Chemotherapie – kombiniert mit einer Bestrahlung – zur Verkleinerung des Tumors durchgeführt werden. Beim Dickdarmkrebs kann mit einer postoperativen Chemotherapie in bestimmten Situationen die Häufigkeit eines Rückfalles reduziert werden. Wenn der Darmkrebs bereits Ableger – Metastasen – gebildet hat, kann die Chemotherapie das weitere Fortschreiten der Erkrankung verzögern und Symptome lindern. Bei bestehenden, chirurgisch entfernbaren Lebermetastasen kann die Chemotherapie diese präoperativ verkleinern und so den chirurgischen Behandlungserfolg unterstützen.
«D’REGION»: In der Schweiz erkranken jährlich etwa 4000 Menschen an Dickdarmkrebs. Welches sind die hauptsächlichen Ursachen für Dickdarmkrebs?
Dr. Bauer: Eine vererbte Veranlagung spielt eine grosse Rolle. Übergewicht, der Genuss von viel rotem und verarbeitetem Fleisch wie Wurstwaren, Aufschnitt und Schinken sowie Alkoholkonsum und Nikotinmissbrauch erhöhen das Darmkrebsrisiko. Regelmässige körperliche Aktivität wie auch eine Ernährung mit reichlich Gemüse, Früchten und Nahrungsfasern schützen vor Darmkrebs.
«D’REGION»: Können neu auftretende durchfallartige Stuhlveränderungen, Verstopfung, bleistiftartiger Stuhl oder Blut im Stuhl auf Dickdarm- oder Enddarmkrebs hinweisen – oder stecken oft nur relativ harmlose Hämorrhoiden dahinter?
Dr. Bauer: Die genannten Beschwerden sind typische Symptome einer Darmkrebserkrankung. Für sich allein erlauben sie aber keine genaue Diagnosestellung. Auch eine harmlose funktionelle Störung wie ein Reizdarm kann – gepaart mit Hämorrhoidalblutungen – dieselben Symptome hervorrufen.
«D’REGION»: Ab welchem Alter sollten Menschen, auch wenn sie sich gesund fühlen und keine Beschwerden haben, eine Darmkrebsvorsorgeuntersuchung durchführen lassen?
Dr. Bauer: Der Grossteil der Dickdarmtumore tritt nach dem 50. Altersjahr auf. Deshalb wird eine erste Vorsorgeuntersuchung im Alter von 50 Jahren empfohlen. Dickdarmkrebs entsteht in der Regel langsam über zehn und mehr Jahre hinweg aus Polypen, also gutartigen Knötchen. Diese noch gutartigen Darmkrebsvorläufer können mit der Dickdarmspiegelung nachgewiesen und gleich entfernt werden. Damit lässt sich Dickdarmkrebs zu einem grossen Teil verhindern, bevor bösartiges Gewebe entstanden ist. Durch die Dickdarmspiegelung können aber auch frühe Stadien von Darmkrebs, die noch zum grossen Teil geheilt werden können, mit der besten Genauigkeit erkannt werden. Deshalb wird allen Personen im Alter von 50 Jahren eine Vorsorgedickdarmspiegelung empfohlen. Falls keine Polypen nachgewiesen werden, ist eine nächste Vorsorgedickdarmspiegelung nach zehnjährigem Intervall angebracht. Bei familiärer Darmkrebsbelastung gelten strengere Darmkrebsvorsorgerichtlinien, die der Magen-Darm-Spezialist und der Hausarzt zusammen festlegen. Falls die Spiegelung als Vorsorgeuntersuchung nicht in Frage kommt, bietet sich der «Blut-im-Stuhl-Test» an. Die zerklüftete und irreguläre Oberfläche von Darmtumoren führt zu geringen Blutungen in den Darm hinein. Diese können mit Okkulttesten nachgewiesen werden. Bei positivem «Blut-im-Stuhl»-Test sollte eine Dickdarmspiegelung rasch erfolgen, damit die Blutungsstelle genauer lokalisiert und bestimmt werden kann.
«D’REGION»: Wie gross ist die Rolle der Vererbung?
Dr. Bauer: Eine vererbte Veranlagung spielt eine wichtige Rolle. Es gibt seltene familiär vererbte Dickdarmtumorerkrankungen, bei denen die Auswirkungen der erblichen Veranlagung so schwer sind, dass praktisch bei allen betroffenen Individuen Darmkrebs auftritt. Diese machen aber nur etwa fünf Prozent aller Darmtumore aus. 70 Prozent der Darmkrebsfälle treten bei Personen auf, in deren naher Verwandtschaft sich keine weiteren Darmkrebserkrankungen finden. Bei 25 Prozent der Darmtumore findet sich eine familiäre Darmkrebsbelastung oder eine chronische Darmentzündung als Risikofaktor. Eine ungesunde Ernährung und ein ungesunder Lebensstil sind mässig starke Risikofaktoren für Darmkrebs. Experten schätzen, dass bei optimaler Kontrolle dieser Risikofaktoren die Darmkrebshäufigkeit um etwa einen Viertel gesenkt werden kann.
«D’REGION»: Das Spital Emmental hat unter Ihrer Leitung schweizweit eine Vorreiterrolle bezüglich einer neuen Operationsmethode beim Enddarmkrebs übernommen. Wer hat diese Methode entwickelt, und wo wird sie schon praktiziert?
Prof. Vorburger: Die Entwicklung ging schrittweise über die letzten Jahrzehnte voran. Dabei wurden jeweils Verbesserungen der Operation durch technologische Fortschritte vor allem bei den Operationsinstrumenten, aber auch in der Laparoskopie – Kameraoperationen – eingeleitet. Die nun entwickelte Methode wurde vor allem durch Chirurgen in Barcelona sowie Amsterdam eingeführt und verfeinert.
«D’REGION»: Unter der Leitung des Spitals Emmental und des Kantonsspitals St. Gallen fand in Bern der erste schweizerische Workshop für diese neue Operationsmethode bei Enddarmkrebs statt. Wie war das Echo?
Prof. Vorburger: Alle zwölf Teilnehmer waren sehr erfahrene Chirurgen in der Behandlung von Enddarmtumoren. Die gute Resonanz für die Methode war einhellig. Die Vorteile wurden von der Spezialistengruppe sofort erkannt. Mittlerweile haben wir schon einige Kollegen begleitet, diese neue Operation auch in ihrer Klinik einzuführen, zum Beispiel im Inselspital. Andere Teilnehmer – beispielsweise vom Lindenhof oder dem Triemlispital Zürich – liessen uns wissen, dass sie auch bereits Patienten auf diese Weise operiert haben und begeistert sind.
«D’REGION»: Welches sind Ihre eigenen Erkenntnisse von dieser Operationsmethode?
Prof. Vorburger: Nachdem wir uns bei einem der «Erfinder» in Barcelona direkt ausgebildet hatten, gehörten wir im März 2014 zu den Ersten in der Schweiz, die Enddarmtumore auf die neue Weise operieren konnten. Mit nun eineinhalbjähriger Erfahrung haben wir das Know-how, auch andere Experten auszubilden. Im Februar 2016 werden wir zusätzlich eine Gruppe aus England vor Ort und in St. Gallen weiterbilden. Unsere Erkenntnisse entsprechen den Erwartungen, dass speziell bei eher korpulenten Männern mit grösseren Tumoren diese sehr anforderungsreiche Operation deutlich erleichtert wird. Ziel jeder Tumoroperation muss sein, dass eine onkologisch optimale Entfernung erreicht wird. Das heisst, dass die Operation in genügendem Sicherheitsabstand zum Tumor und die Entfernung der naheliegenden Lymphknoten in einem Block erfolgt. Wir hatten in den eineinhalb Jahren Patienten, bei denen eine solche onkologisch optimale Entfernung mit der herkömmlichen Operationsmethode nicht sicher hätte durchgeführt werden können, aber mit der neuen Methode perfekt erreicht wurde.
«D’REGION»: Was unterscheidet diese neue Operationsmethode von bisherigen Eingriffen?
Prof. Vorburger: Der entscheidende Unterschied ist, dass man den Enddarmtumor, der tief unten im Becken liegt, nicht mehr nur «von oben» – also vom Bauch her – entfernen, sondern nun auch unter Kamerasicht «von unten» – also durch den Darmausgang/After – von der Umgebung lösen kann. Dadurch wird der Tumor nicht mehr gequetscht, man sieht deutlicher, wo die Nerven und Tumorgrenzen sind, und man kann mit zwei Teams gleichzeitig operieren – also schneller. Es ist sicher zu erwarten, dass mit der Verbreitung dieser neuen Methode auch noch Verbesserungen eingeführt und angepasste Instrumente, die zusätzlich Sicherheit und Erleichterung bringen, entwickelt werden.
Zu den Personen
Dr. med. Stefan Bauer ist Leitender Arzt Gastroenterologie und spezialisiert auf Magen-Darm-Heilkunde sowie Innere Medizin.
Dr. med. Michael Bühlmann ist Leitender Arzt Onkologie.
Professor Dr. med. Stephan Vorburger ist Chefarzt Chirurgie und Leiter Chirurgische Kliniken.
Hans Mathys