«Der Schwingsport, ein Anker in unserer Welt»
15.07.2015 Aktuell, Ersigen, Schwingen, Sport«D’REGION» traf sich mit Rolf Gasser, dem hauptamtlichen Geschäftsstellenleiter des Eidgenössischen Schwingerverbands (ESV), zu einem Gespräch über den Schwingsport und die Vorbereitungsarbeiten zum Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest «Estavayer2016», über die «Bösen» und die kommenden Höhepunkte dieser Saison.
Der eidgenössich diplomierte Käsermeister, Kranzschwinger und Gemeinderat von Ersigen trat die neu geschaffene Stelle am 1. Mai 2011 an. Zu seinen Hauptaufgaben gehören die Unterstützung des Zentralvorstands und der Funktionäre, das Ausführen administrativer Arbeiten, die Bearbeitung von Medienanfragen sowie die Redaktionsleitung der Zeitschrift «Schwingen Hornussen Jodeln». Der ESV stellt die Arbeitskraft von Rolf Gasser dem jeweiligen Organisationskomitee des alle drei Jahre stattfindenden Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests (ESAF) zu 30 Prozent zur Verfügung. Er nimmt dort eine zentrale Schnittstellenfunktion zwischen OK und Verband ein.
«D’REGION»: Auf welche Weise sind Sie mit dem Schwingsport in Berührung gekommen?
Rolf Gasser: Die Begeisterung für das Schwingen wurde mir praktisch in die Wiege gelegt. Sowohl mein Grossvater Ernst als auch mein Vater Hansueli standen im Sägemehl. Letzterer war sehr erfolgreich, belegte am «Eidgenössischen» 1958 in Freiburg den dritten Rang und 1961 in Zug Platz zwei. Der Text des Liedes «Dr Trueberbueb» trifft auf mich zu: «My Vater, dä het gschwunge, scho mängisch obenuus. Dä lehrt mi’s o am Abe u Morge vor em Huus. I bi ne Schwingerbueb! Ja, i bi ne Ämmitaler...».
Als Aktivschwinger war ich nicht sonderlich erfolgreich, schaffte es aber immerhin zum Kranzschwinger. Ich versuchte den Schwingstil meines Vaters zu kopieren, besass aber nicht die gleiche Grösse und Statur wie er. Erst allmählich realisierte ich, dass jeder seinen eigenen Stil und seinen eigenen Weg im Leben finden muss, um erfolgreich zu sein. Das Schwingen stellte für mich deshalb eine wichtige Lebensschule dar.
Später übernahm ich im Schwingsport verschiedene administrative Funktionen – zunächst für den Schwingklub Kirchberg, dann für den Oberaargauischen Schwingerverband, den Bernisch-Kantonalen und den Eidgenössischen Schwingerverband. Auf diese Weise eignete ich mir ein grosses Fachwissen an, das für die Führung der Geschäftsstelle, die sich in Ersigen befindet, unentbehrlich ist.
«D’REGION»: Wann standen Sie das letzte Mal im Sägemehl?
Rolf Gasser: Meine aktive Schwingerzeit ist seit Jahrzehnten vorbei. Eine Seniorenkategorie existiert in unserem Sport nicht – dies wäre auch zu gefährlich. Der Sägemehlgeruch ist mir aber nach wie vor bestens vertraut; allein aufgrund der zahlreichen Schwingfeste, die ich besuche.
«D’REGION»: Das ESAF 2013 in Burgdorf im Emmental ist in unserer Region nach wie vor in bester Erinnerung. Welche Emotionen verbinden Sie als Mitglied des Organisationskomitees und als Co-Leiter der Abteilung Sport im Rückblick mit dem «Fest aller Feste»?
Rolf Gasser: Der Blick zurück auf das «Eidgenössische» in Burgdorf lehrt uns, wie viel erreicht werden kann, wenn man sich mit grosser Begeisterung, unermüdlichem Engagement, viel Enthusiasmus und Kreativität für eine Sache einsetzt. Aus der Idee, das ESAF 2013 in Burgdorf durchzuführen, resultierte dank kontinuierlicher Arbeit ein spektakulärer Sportanlass – ein Fest der Superlative, das von 300 000 Besucherinnen und Besuchern in vollen Zügen genossen wurde. Das «Eidgenössische» liess die Region enger zusammenrücken und hat sie zusammengeschweisst. Das OK, die zahlreichen Helfer/innen und die gesamte Region dürfen stolz darauf sein, ein so gelungenes Fest auf die Beine gestellt zu haben. Das gewonnene Selbstvertrauen kann uns niemand mehr nehmen.
«D’REGION»: Wie sieht der Stand der Arbeiten für das «Eidgenössische» 2016 vom 26. bis 28. August in Estavayer-le-Lac aus?
Rolf Gasser: Wir befinden uns auf Kurs. Gegenwärtig wird am Feintuning des Budgetplans gefeilt. Dieser ist ein zentrales Führungs- und Steuerungsinstrument für die Organisation des Festes. In den nächsten Wochen wird auf dem Gelände des Militärflughafens «Aérodrome Payerne» der Rasen für die Arena angesät – damit beginnen die ersten sichtbaren Arbeiten auf dem Areal. Ende August läutet das OK mit einem Event den 365-tägigen Countdown bis zum Start des ESAF 2016 ein. Eine organisatorische Herausforderung stellt die Zweisprachigkeit des Projekts dar. Sämtliche Informationen müssen in deutscher und französischer Sprache verfasst werden, da ein Grossteil der Festbesucherinnen und -besucher aus der Deutschschweiz anreisen wird. Dies bedingt zusätzlichen Arbeitsaufwand.
«D’REGION»: Lässt sich «Estavayer2016» von der Grössenordnung her mit dem «Eidgenössischen» 2013 in Burgdorf vergleichen?
Rolf Gasser: Das Budget wird sich in einem ähnlichen Rahmen wie in Burgdorf bewegen – damals standen dem OK rund 25 Millionen Franken zur Verfügung. Die Arena wird ebenfalls gleich gross sein. Sie bietet Platz für 52 016 Zuschauerinnen und Zuschauer. «Estavayer2016» wird keine Kopie vom ESAF in Burgdorf werden, sondern einen eigenständigen Charakter aufweisen und die Freunde des Schwingsports mit viel welschem Charme und der für die Romandie typischen Gastfreundlichkeit begeis-tern.
«D’REGION»: Welchen Stellenwert geniesst der Schwingsport in der Westschweiz?
Rolf Gasser: Der Kanton Freiburg kann auf eine lange, erfolgreiche Schwingertradition zurückblicken und will mit jungen Schwingern wieder an die Erfolge der Vergangenheit anknüpfen. Generell zählt aber die Westschweiz nicht zu den Hochburgen des Schwingsports. Wir erhoffen uns, dass «Estavayer2016» positive Impulse auslösen und die Nachwuchsförderung im Kanton Freiburg und der Romandie beflügeln wird. Der Schwingerverband ist bestrebt, zur Förderung des Schwingens in der Westschweiz besondere Anstrengungen zu unternehmen.
«D’REGION»: Der Schwingsport erfreut sich immer grösserer Beliebtheit. Wie erklären Sie sich das?
Rolf Gasser: Die gegenwärtige Popularität hat viel mit den Werten zu tun, die der Schwingsport vermittelt. Schwingen steht für «Swissness», für Tradition, Brauchtum, Identität und Zusammenhalt. Es setzt einen Kontrapunkt zur Globalisierung, erinnert an unsere Wurzeln und unsere Herkunft. Der Schwingsport ist ein Anker in unserer modernen Welt. Zum Boom beigetragen hat sicherlich auch das Schweizer Fernsehen, das dieser Sportart viel Sendezeit einräumt. Schwingfeste sprechen heute ein breites Publikum an und werden zunehmend als Event wahrgenommen.
«D’REGION»: Bringt die Popularität des Schwingens auch Gefahren mit sich? Wie geht der ESV mit dem Boom des Schwingsports und der zunehmenden Kommerzialisierung um?
Rolf Gasser: Wir tragen Sorge zur Authentizität und Glaubwürdigkeit des Schwingsports. Die Grundsätze, welche das Schwingen auszeichnen und einzigartig machen, dürfen nicht verwässert werden. Der Schwingerverband setzt sich zum Ziel, die Bräuche und Werte auf zeitgemässe Weise zu pflegen und an kommende Generationen weiterzugeben. Im Marketing spricht man von USP, «unique selling proposition», von Alleinstellungsmerkmalen, die ein Produkt oder Angebot definieren. Im Schwingsport sind dies die besondere Atmosphäre an den Festen, die Fairness, die Werbefreiheit in der Arena und auf dem Wettkampftenue, die Trachtenfrauen, Jodler und Fahnenschwinger. Durch den Erlass klarer Reglemente und Richtlinien wird das «Schwingerschiff» aktiv vom ESV gesteuert. Der Verband stärkt die Glaubwürdigkeit unserer Sportart. Teil des Erfolgsrezepts sind eine Portion Sturheit und Stolz auf unsere Traditionen.
«D’REGION»: Im Gegensatz zu anderen Sportarten – wie beispielsweise Fussball – ist das Schwingen bisher von Skandalen verschont geblieben. Weshalb?
Rolf Gasser: Die Schwingerfamilie zeichnet sich durch ihre Bodenständigkeit aus. Die Bösen gehen einer Berufstätigkeit nach, sind gesellschaftlich eingebunden und laufen nicht Gefahr, die Bodenhaftung zu verlieren und abzuheben. Die Aktivschwinger und die Verbandsfunktionäre betrachten den Schwingsport als schönste Nebensache der Welt. Das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Lebensbereichen – zwischen Familie, Freundeskreis, Arbeit und Schwingsport – ist ausgewogen. Der Eidgenössische Schwingerverband erachtet diese Balance als sehr wichtig. Der traditionsbewusste und werteorientierte ESV lässt sich sicherlich nicht mit der FIFA vergleichen (Gasser lacht).
«D’REGION»: Auf welche Höhepunkte freuen Sie sich in dieser Saison noch besonders?
Rolf Gasser: Ganz speziell freue ich mich auf den Brünig-Schwinget am 26. Juli, der vom Schweizer Fernsehen live übertragen wird, sowie auf den Eidgenössischen Nachwuchsschwingertag am 30. August in Aarburg. Ich hoffe, beide Anlässe werden das Interesse am Schwingsport weiter steigern und viele Jugendliche begeistern.
«D’REGION»: Welches sind Ihrer Ansicht nach gegenwärtig die stärks-ten Schwinger unter den Bösen?
Rolf Gasser: Zu den stärksten Berner Bösen gehört König Matthias Sempach, der leider aufgrund einer Verletzung für die weitere Saison ausfällt. Christian Stucki ist gegenwärtig kaum zu schlagen, präsentiert er sich doch in Bestform. Aus der Innerschweiz überzeugen insbesondere Philipp Laimbacher und Andy Imhof. Zu den Schwergewichten aus der Nordwestschweiz zählen Christoph Bieri und Bruno Gisler. Von den Schwingern des Nordostschweizer Verbands überzeugen mich insbesondere Daniel Bösch und Samuel Giger. Letzterer zählt wie Remo Käser und Joel Wicki zu den jungen vielversprechenden Talenten, welche die Szene aufmischen und von denen man in Zukunft sicher noch vieles hören wird.
Markus Hofer