Wissenswertes rund um die erste Gysnauflue

  23.09.2023 Burgdorf, Kultur

Burgerrat Stefan Liechti konnte am Mittwoch, 6. September 2023, bei schönstem Sommerwetter gegen 100 Burgerinnen und Burger zum Abend­anlass neben der Reithalle Burgdorf begrüssen. Die Ankündigung, dass von vier Fachleuten an mehreren Stationen vielfach Unbekanntes, Überraschendes, teils Gefährliches und immer Spannendes zur geologischen Entstehungsgeschichte der Gysnauflue, zu historischen Aspekten sowie zur Überwachung der Felssturzgefahr und
zu möglichen Überflutungsszenarien erläutert würde, ist auf reges Interesse gestossen.

Zu zwölft in zwei Kammern
Peter Wegmüller, Architekt und Bau­fachlehrer, weckte vor allem bei älteren Anwesenden Erinnerungen, als er auf die Höhlen und früheren Wohnstätten in der Gysnauflue zu reden kam. Wer kann sich heute vorstellen, dass im Felsen in einem kleinen einstöckigen Holzbau mit zwei Zimmern ohne Wasser und Strom eine Familie mit zehn Kindern gelebt hat? Wegmüller erläuterte die verschiedenen Steinbrüche – die nach einem Stadtbrand besonders genutzt worden sind – und erinnerte an die toten Arbeiter, die von Felsstürzen erschlagen worden sind.
Michael Auchli, Bauingenieur ETH, erläuterte das Gefahrenpotenzial für die Bevölkerung bei Hochwasserereignissen der angenommenen Zeitspanne von 30, 100 und 300 Jahren. Während das 30-jährige Ereignis meist nur von Direktbetroffenen wahrgenommen wird, sind sogenannte 100-jährige Überflutungen eher selten und tangieren vor allem das betroffene Siedlungsgebiet. Das 300-jährige Hochwasser mit entsprechend verheerendem Schadenpotenzial bezeichnete der Referent als «von der geschädigten Bevölkerung gefühlten Weltuntergang». Weiter erläuterte Auchli die Schutzfunktion der Emmedämme: Ein Bruch bei der Lochbachbrücke hätte weitreichende Überflutungen durch Burgdorf bis Rüedtligen-Alchenflüh zur Folge. Das überflutende Wasser könnte nicht mehr in die Emme zurückfliessen.

Eiszeit in Burgdorf
Michael Soom, Geologe bei der Geotest AG, wohnhaft in Heimiswil, erklärte der interessierten Zuhörerschar die verschiedenen Gesteinstypen der Gysnauflue: «Ich zeige auf, um welche Gesteinstypen es sich hier handelt, wie sie entstehen und welche Bildungsbedingungen vorhanden sein müssen, um diese Formationen zu erreichen. Wer weiss schon, dass die Gesteine in einem Meeresbecken entstanden und diesbezüglich beeinflusst worden sind? Dieses Melassemeer datiert 15 bis 20 Millionen Jahre zurück.» Besonders interessant sind in diesen Steinen eingeschlossene Fossilien, von denen einige auf Fotos zu betrachten sind. Am Ende seiner Ausführungen kam Soom noch auf die Auswirkungen der letzten Eiszeit in Burgdorf zu sprechen.
Valentin Raemy, Umweltwissenschaftler, vermittelte Wissenswertes und Unbekanntes über vier Felsstürze und Monotoring an der Gysnauflue. «Die Überwachung der Gysnauflue mit entsprechender Gefahrenbeurteilung ist notwendig. Wie sonst kommt man zu einem seriösen Verständnis, wie Naturgefahren dieser Gysnauflue zu werten sind und Ereignissen vorzubeugen ist? Was bedeutet das für den Naturraum (das Gebiet ist ein Naturschutzgebiet)? Zudem führt ein Kapellenweg unter der Flue durch. Unmittelbar daneben verläuft die Kantonsstrasse, weiter stehen dort Wohnhäuser. Mit regelmässigen Kontrollen und Überwachungen – teils in der Felswand am Seil und am Fuss in den Felskavitäten (Höhlen) – können dank festgestellter Felsbewegungen vermutete Ereignisse besser eingeordnet werden.»

Grösserer Felssturz vor zwei Jahren
Vor zwei Jahren ereignete sich ein grösserer Felssturz mit 300 Kubikmetern Gestein, es gab aber keine Personen- oder Sachschäden. «Das Überraschende war, dass von dieser Masse auf dem Trampelpfad im Schachen nur wenige kopfgrosse Steine lagen. Die Bewegungsrichtung dieser Felsmasse ging vor allem in den Boden vor der Kavität. Das Ablagerungsgebiet befand sich oben in der Felswand wie auf einer Terrasse.» Jetzt bestehe das Problem laut Raemi darin, dass diese Gesteinsmassen in der Transitzone lägen und jederzeit wieder mobilisiert werden könnten. «Das heisst, man muss dem Gefahrenpotenzial dieser Sturzmasse begegnen. Einerseits ist der Weg seit 2005 wegen Steinschlaggefahr gesperrt, andererseits wird er immer noch benutzt. Jetzt ist eine Informationstafel installiert worden, welche die Situation gut verständlich erklärt und auf die Eigenverantwortung der Spaziergänger hinweist.»
Nach zwei Stunden und vier sehr interessanten Vorträgen trafen sich alle im Restaurant Landhaus zum gemeinsamen Nachtessen.

Gerti Binz


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